Unsterbliche Bande
mich bisher noch nicht vergiftet.«
»Noch nicht.« Doch sie war durstig. Außerdem musste sie so dringend auf die Toilette, dass sie daraus schloss, dass viel Zeit vergangen war. »Wissen Sie, wie lange ich bewusstlos war?«
»Nicht genau. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Morgen ist, und man hat Sie irgendwann gestern Nacht hergebracht. Das heißt, Sie müssen mehrere Stunden weggetreten gewesen sein, aber wie viele, kann ich nicht sagen.«
Trotzdem half es zu wissen, dass es Morgen war. Daran konnte sie sich ein wenig orientieren. Lily schwang die Beine vom Bett und stand auf. Die Bewegung tat ihrem Kopf nicht gut. Sie musste die Augen kurz schließen.
»Alles in Ordnung?« Sean Friars Stimme klang näher.
Sie öffnete die Augen und trat zurück. »Es sind nur Kopfschmerzen.«
Er ließ die Hand sinken, die er ausgestreckt hatte, als wollte er sie stützen. »Sie trauen mir nicht. Es gibt ja auch keinen Grund dafür.«
»Ich bin ein Cop. Ich traue niemandem sofort.« Die Tür, die nicht ins Badezimmer führte, sollte sie wohl als Erstes überprüfen. Sie ging dorthin. Ihrem Kopf behagte die Bewegung gar nicht, doch mittlerweile war es ein steter Schmerz – unangenehm, aber nicht so, dass er sie außer Gefecht setzte.
»Vor allem Menschen mit dem Nachnamen Friar nicht.«
Er klang nicht verärgert. Eher resigniert und einen Hauch ironisch. »Da könnten Sie recht haben«, bestätigte sie und legte die Hand an die Tür. Auch hier war Magie, diese hier vibrierte aber nicht. Sie fühlte sich schlüpfrig an, leicht ölig. Sie drehte den Knauf und war nicht überrascht, dass die Tür verschlossen war. Dann presste sie das Ohr daran. Nichts.
»Sie sind vermutlich da draußen«, sagte Sean. »Der Raum ist schallgedämpft. Sie sagte, damit ich mehr Privatsphäre habe. Jetzt wohl, damit wir beide eine Privatsphäre haben. Aber es hat sicher auch den Zweck, dass wir sie nicht belauschen oder andere da draußen auf uns hier drinnen aufmerksam machen können. Wo immer ›hier‹ ist.«
Sie richtete sich auf. »Sie, Mehrzahl?«
»Bisher habe ich drei zu Gesicht bekommen. Alycithin und zwei andere – Dinaron oder so ähnlich. An den Namen des anderen erinnere ich mich nicht. Der, dessen Name mit D anfängt, ist männlich. Bei dem anderen bin ich mir nicht sicher.«
»Elfen, Halblinge oder Menschen?« Sie trat zu dem Fenster zwischen den beiden Betten. »Die beiden außer Alycithin, meine ich.«
»Elfen, glaube ich. Zumindest sehen sie so aus. Alycithin hat das Sagen.«
»Und sie ist ein Halbling.« Lily zog die Vorhänge zurück.
Ein glänzendes silbernes Rechteck blickte ihr entgegen. Nicht silbrig wie ein Spiegel. Silbern. Und im wörtlichen Sinne glänzend. Durch die silberne Oberfläche fiel Licht, doch man konnte nicht hindurchsehen. Sie drückte die Finger dagegen. Das scheinbare Fenster fühlte sich kühl und glatt wie Glas an, aber es war dick überzogen mit Magie. Eine glitschige Art von Magie, ähnlich wie die der Tür. Sie musste an billige Lotionen denken, die Sorte, die man so lange einreiben konnte, wie man wollte, ohne dass sie einzog.
»Seltsam, nicht wahr? Tagsüber lässt es Licht herein, und nachts wird es dunkel«, sagte Sean. »Daher weiß ich auch, dass es früh am Morgen ist. Das Licht ist noch nicht hell. Und die Scheibe bricht nicht. Ich habe es versucht.«
»Mit was?«
»Ich kann aus dem Stand heraus ziemlich gut springen und treten. Ich habe sie dreimal ordentlich getroffen, und sie ist trotzdem nicht kaputtgegangen.«
Sie warf einen Blick auf seine nackten Füße.
»Da hatte ich noch meine Stiefel«, sagte er trocken. »Nachdem ich gegen ihr Fenster getreten hatte, fanden sie, dass ich auch ohne Schuhe gut auskomme. Vielleicht heißt das, dass ich es hätte zerbrechen können, vielleicht waren sie aber auch nur verärgert, weil ich es versucht habe.«
Sie fuhr mit den Fingern über die Stelle, wo das Glas – wenn es denn Glas war – auf den Rahmen traf. Die Magie auf dem Rahmen vibrierte so wie die an den Wänden … die jetzt etwas von Mozart sendeten. »Wenn sie uns hier drinnen nicht belauschen, woher wussten sie dann, dass Sie gegen das Fenster der Seltsamkeiten getreten haben?«
»Fenster der Seltsamkeiten. Hm. Das gefällt mir. Durch die Wände. Als ich gegen das Fenster gesprungen bin, haben die Vibrationen etwas wie statische Störungen in der Tonanlage der Wände ausgelöst. Sie funktionieren wie eine magische Gegensprechanlage.«
Sie drehte sich zu ihm um. »Wie
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