Unsterbliche Bande
einverstanden erklärt, aber unter der Bedingung, dass die Leidolf zuerst befragt würden.«
Rule war der Lu Nuncio der Nokolai – im Wesentlichen der Thronfolger und Gesetzesvollstrecker. Er gehorchte seinem Rho. Aber er war selbst auch ein Rho. Der Rho der Leidolf, der Erzfeinde der Nokolai.
Der Träger der zwei Mächte, so nannten ihn manche. Selbst hier auf dem Clangut konnte Isen den Wachen der Leidolf nichts befehlen – und seinen Sohn nicht anweisen, sie mitzubringen. Er konnte ihn nur darum bitten.
»Warum als Erste?«
»Die meisten der Anwesenden werden schon jetzt die Wachen der Leidolf für die Schuldigen halten. Sie müssen schnell und öffentlich von jedem Verdacht befreit werden. Lily, wir müssen jetzt zur Versammlungswiese aufbrechen.«
»Nur noch eine Minute. Vorher muss ich noch –«
»Das hier ist nicht der rechte Moment, um zu diskutieren. Wir müssen los. Mein Vater ist sehr wütend.«
»Das ist verständlich.«
»Du verstehst mich nicht. Du hast ihn noch nie erlebt, wenn er richtig wütend ist.«
Nein, das hatte sie nicht. Sie kannte Isen, wenn er lachte, freundlich war, mitleidlos, verärgert, zärtlich und zum Töten bereit. Aber richtig wütend … »Wie schlimm ist es? Hast du Sorge, dass er die Beherrschung verliert?«
Er zögerte. Nur eine Sekunde, aber das sagte ihr mehr als seine Worte zuvor. »Nein. Natürlich nicht.«
Cullen begleitete sie. Die Wachen blieben zurück. Sie gehörten zu denen, die entschuldigt waren, was Lily ein wenig beruhigte. Isen mochte einen Rho-mäßigen Wutanfall haben, aber er hatte noch nicht ganz das Denken eingestellt. Die unbedingt notwendigen Leute taten Dienst.
Einige zumindest. Die Wachen bewachten den Tatort, sie ermittelten nicht. Das war das, was Lily hätte tun sollen, statt jetzt den halben Berg wieder hinunterzugehen. Das, und die Kriminaltechnik rufen, verdammt.
Ein paar Minuten lang sagte niemand etwas. Lily dachte angestrengt nach, und die Schlüsse, die sie zog, gefielen ihr gar nicht. Vermutlich ging es den anderen genauso.
Es war eine frische, klare Nacht. Der Himmel stand voller Sterne, wie man es nur so weit draußen vor der Stadt sehen konnte, und der Mond hing wie ein abgeschnittener Fingernagel hoch über ihnen. Für die beiden Männer reichte das Licht, aber glücklicherweise hatte Cullen nicht vergessen, dass es für sie zu dunkel sein würde. Ein paar Schritte vor ihnen tanzten die beiden magischen Lichter in der Luft, die den Boden vor ihr beleuchteten und eigenartige Schatten warfen. Der sanfte Wind liebkoste zart ihr Haar und ihre Haut. Es roch verbrannt.
Bis zur Versammlungswiese würden sie in ihrem langsamen Menschentempo ungefähr zwanzig Minuten brauchen – Zeit, die man genauso gut zusätzlich nutzen konnte. »Hast du durch die Fährte des Täters etwas Neues erfahren?«, fragte sie Rule.
»Ja. José und seine Einheit sind der stärksten Duftspur gefolgt. Normalerweise heißt das, dass sie die frischeste ist, aber nicht in diesem Fall. Der Dieb hat vorher eine falsche Spur gelegt, indem er seine Schuhe auszog und eine Strecke mit nackten Füßen hin- und zurückgegangen ist. Wäre José nicht durch den Verlust seines Geruchssinns und durch das plötzliche Hupen abgelenkt gewesen, hätte er bemerkt, dass die Abdrücke erst von beschuhten, dann von nackten Füßen stammten.«
»Clever. Er ging davon aus, dass seine Verfolger eher ihrer Nase als ihren Augen glauben würden. Er kennt sich gut mit Lupi aus.«
Er nickte grimmig. »Zu gut.«
»Möglicherweise gibt es wirklich einen Verräter, aber setz nicht allzu sehr auf diese Theorie. Ja, der Täter könnte sein Wissen von einem Komplizen hier auf dem Clangut haben. Oder er kennt jemanden, der viel über Lupi weiß – eine Ospi oder eine Freundin oder wen auch immer –, oder er hat sich in die Datenbank des FBI eingehackt. Da finden sich reichlich Infos über dich. Möglicherweise kann er auch einfach nur gut recherchieren. Er ist gut organisiert. Cullen.«
Er antwortete nicht. Sie sah zu ihm zurück – er ging ein Stück hinter ihr und Rule, die Stirn leicht gerunzelt, als gäbe ihm der Erdboden Rätsel auf, obwohl sie vermutete, dass er ihn nicht einmal wahrnahm. »Cullen«, wiederholte sie.
Sein Stirnrunzeln vertiefte sich, als er aufsah. »Ja?«
»Wer weiß von dem Prototyp?«
»Dass es ihn gibt? Vier Manager bei T-Corp und alle, denen sie es erzählt haben. Und fast jeder hier auf dem Clangut – jedenfalls die meisten Nokolai. Aber es war klar,
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