Unsterbliche Gefährten - das böse Blut
Ende lässt er sich einfach fallen, landet auf dem Dachfirst und steht grinsend vor mir.
Ich würde ihm am liebsten eine Ohrfeige geben, so überrascht und auch wütend bin ich auf ihn.
Er umarmt mich und meine Wut verglüht augenblicklich in mir.
Ich höre ihn in meinem Kopf flüstern: Verzeih mir, meine süße Kleine, ich konnte dich nicht vorwarnen, mir ist es selbst erst gerade eingefallen.
Was hattest du denn vor?, frage ich ihn.
Ehrlich gesagt, habe ich mir keinerlei Gedanken darüber gemacht. Ich habe auf meine Instinkte vertraut – und das war ja nicht schlecht.
Er grinst mich wieder an.
Und das Recht auf die erste Nacht? Was sollte das?, schicke ich ihm in Gedanken und runzele die Stirn.
Das ist meine Versicherung, damit er dich nicht sofort umbringen kann. Außerdem habe ich gedacht, du fändest es vielleicht ganz nett.
Er blickt mich an und hebt eine Augenbraue. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln.
Wo ist er denn jetzt?, frage ich ihn, weißt du wo er sich aufhält?
Ja, es wird am Fluss enden. Alles endet dort.Komm, wir müssen los.
Er springt vom Dach des Verbindungshauses.
Ich runzele die Stirn alles endet dort. Dieser Satz gefällt mir gar nicht, warum nur, hat er das gesagt. Erneut schüttele ich den Kopf und springe ihm hinterher.
Er läuft vor mir, er ist viel schneller als ich.
Warte doch mal, rufe ich ihm in Gedanken hinterher. Er wird langsamer, schließt mit mir auf und wir bleiben stehen.
„Was genau hast du denn jetzt vor?“, frage ich ihn.
Mir ist etwas eingefallen , sagt er in meinem Kopf, aber …ich weiß nicht genau, ob es dir auch gefallen wird.
Er blickt mich zweifelnd an.
Jedes Mittel ist mir recht, wenn nur der Mistkerl endlich zur Hölle fährt, denke ich und presse die Lippen aufeinander.
Ansgar sieht mich zweifelnd an, dann holt er sein Telefon aus der Hosentasche und wählt eine Nummer.
„Nicki? Ich bin’s. Ja. Hör zu, du musst mir helfen. Komm sofort zum Desmodus, wir treffen uns davor … ja, ich erklär dir dann alles … – und bring deine Schleuder mit. Ja, genau die. Auf bald.“
Ich kann ihn nur verständnislos ansehen, ich verstehe kein Wort.
Was hast du nur vor?
Das wirst du noch sehen, antwortet er knapp , komm jetzt, Nicki ist schnell .
Er läuft einfach los.
Den Weg zum Desmodus kenne ich, so laufe ich alleine.
Als ich dort ankomme, steht Ansgar schon mit Nicki vor dem Eingang, sie unterhalten sich angeregt.
Ich stoße zu ihnen, Nicki begrüßt mich mit einem kurzen Kopfnicken. Ansgar redet weiter auf ihn ein – ich höre ihm aufmerksam zu. Seine Idee ist verwegen und riskant – sehr riskant. Aber nicht schlecht, es könnte klappen.
„Müssen wir den Stein vorher wieder zum Leben erwecken?“, frage ich Ansgar und halte den schwarzen Kieselstein in meiner offenen Handfläche.
Statt einer Antwort legt Ansgar seine flache Hand über den Stein und sofort spüre ich die große Hitze, die von dem heiligen saxum ausgeht. Ansgar lächelt mich an, in seinen Augen brennt die Lava – heiß und glutrot dreht sie sich träge im Kreis. Er nimmt die Hand herunter und schon sehe ich das Blut aus dem Stein austreten, es rinnt herab, wird aufgesogen und fließt erneut durch die Ritzen und Spalten.
Ich gebe Ansgar den Stein.
„Ich hoffe, du tust das Richtige“, sage ich und sehe ihm ins Gesicht.
„Das hoffe ich auch“, er zwinkert mir mit einem Auge zu und lächelt wieder. Dann gibt er mir einen Kuss auf die Stirn, in meinem Kopf höre ich seine Stimme : Ich werde immer bei dir sein, egal was geschieht, vergiss das niemals.
Er nickt Nicki zu: „Auf bald“, dreht sich um und ist verschwunden.
Ich seufze kurz und drehe mich zu Nicki um.
„Na dann mal los, du Seelenloser.“ Wir grinsen uns an.
Langsam gehen wir in Richtung Fluss. Hier, wo alles enden soll – warum hat Ansgar das bloß gesagt, frage ich mich zu wiederholten Mal.
Kurz vor dem Fluss packt Nicki mich am Arm und führt mich weiter, sein Gesicht ist grimmig und verschlossen. Wir gehen am Fluss entlang in Richtung Hafen.
Weiter vorne ist der Hafenbahnhof. Auf einem Schienengleis steht noch ein Zug mit ein paar angehängten Güterwagen.
Schon von weitem kann ich sehen, das jemand auf dem Zugdach steht. Er hebt sich deutlich im Mondlicht vom Rest der Umgebung ab. Wir sind etwa zwanzig Meter von dem Zug entfernt, Nicki bleibt stehen. Ich ziehe vorsichtig die Luft ein, prüfe den Geruch. Ein widerlicher Gestank trifft mich – rauchig, nach Feuer, Blut und Asche.
Der Vampir
Weitere Kostenlose Bücher