Unsterbliche Liebe
steckte noch schnell eine Einwegkamera und ihre Schlüssel in die Tasche und verließ mit Sam das Haus. Die Luft vibrierte förmlich vor Spannung. Eltern mit ihren Kindern flanierten die Straße auf und ab. Sie vermieden es tunlichst, auch nur in die Nähe des angrenzenden Häuserblocks zu kommen, hatte doch keiner den nächtlichen Aufruhr von neulich vergessen. Einer der älteren Day-Jungs, der wie üblich alles hautnah miterlebt hatte, bestand darauf, ein geflügelter Teufel habe die Aufpasser attackiert, und nun hegte das ganze Viertel – darunter auch die bigotte Mrs Briggs – eine vorübergehende Vorliebe für geflügelte Teufel.
Stella ging mit Sam einmal die Straße auf und ab, nicht mehr und nicht weniger; dann setzte sie ihn auf den Rücksitz ihres Wagens und bestand darauf, dass er, wie unter Vampiren üblich, seinen Sicherheitsgurt anlegte.
Sie stellte das Auto auf dem Parkplatz vor dem Giant Eagle ab – angesichts der Großeinkäufe, die sie regelmäßig dort machte, konnte kaum jemand etwas dagegen haben – und machte sich zusammen mit Sam auf den Weg zu dem kleinen Laden an der Fifth Avenue, Ecke Jackson. Als sie in Sichtweite waren, hatte Sam bereits einen Kissenbezug voller Beute gehamstert, und Stella liebäugelte mit dem Gedanken, wieder nach Hause zu fahren. Aber sie hatte ja versprochen, vorbeizuschauen. Wenn da nur …
Sie kannte den Grund für ihr Zögern. Justin! Dabei lag es gar nicht an ihm, sondern an ihr. In einer der letzten Nächte war ihr Justin im Traum erschienen, in einem sehr intensiven und eindeutig erotischen Traum, aus dem sie schwer atmend und schweißnass aufgewacht war. Ihre erhitzte Fantasie hatte dieser Nacht einen nicht minder schwärmerischen Tagtraum folgen lassen, und nun fürchtete sie, sie könnte vor Verlegenheit erröten, wenn sie Justin plötzlich leibhaftig gegenüberstünde.
Aber sie hatte es nicht besser verdient. Der Mann hatte sich ihr gegenüber stets wie ein perfekter Gentleman verhalten, und sie hatte ihn zum Sexobjekt degradiert! Sie müsste sich einfach zusammennehmen, denn zum Kneifen war es jetzt zu spät. Aber konnte sie ihm denn in die Augen schauen, ohne sich dabei vorzustellen, wie seine Lippen schmeckten oder wie sich seine kühlen Fingerspitzen auf ihrer Haut anfühlten …
»Komm schon, Mom!« Sam lief zurück und nahm sie bei der Hand. Stella unterdrückte ihre unziemlichen Fantasien und ließ sich das restliche Stück Weg von Sam ziehen.
Aus der offenen Tür fiel Licht auf die Straße. Kit saß neben der Treppe, in kniehohen Stiefeln und Piratenhemd, sodass man glauben konnte, die Augenklappe gehörte zu seiner Aufmachung. Seine Aufgabe war es, wagemutige Passanten hereinzulocken – sofern sie keine Angst vor Vampiren hatten.
»Ich hab keine Angst«, verkündete Sam.
»Warum auch«, pflichtete Kit ihm bei. »Du bist ja selber einer, und dass sich jemand vor seinesgleichen fürchtet, das gab’s doch noch nie, oder?« Sam kicherte. »Andererseits«, fuhr Kit fort, »was ist, wenn du alle unsere Kunden verschreckst?«
Sam schüttelte den Kopf. »Vor Kindern hat doch keiner Angst!«
Kit wandte sich ihm zu. »Weißt du was? Geh doch einfach rein und probier’s aus.«
Das ließ sich Sam nicht zweimal sagen, und er sprang über die Treppe hinauf mitten hinein ins Getümmel. Normalerweise hätte der Laden kaum mehr als zehn Kunden verkraftet, aber Stella schätzte, dass ungefähr doppelt so viele anwesend waren: Eltern mit ihren Kindern, eine Hand voll Grufties in Gothic-Kluft und ein paar Teenager, die bereits zu alt waren, um noch »Süßes, sonst gibt’s Saures« zu spielen, jedoch ihren Spaß an der gruseligen Stimmung hatten. Und zum Gruseln gab es jede Menge. Vor dem hinteren Teil des Ladens hing ein hauchdünner, spinnennetzartiger Vorhang. Abwechselnd wagte sich mal der eine, mal der andere von den Teenagern dahinter, während die anderen davor stehen blieben und auf das Gekreische und Gejohle lauschten. Für die weniger Mutigen hing eine Reihe leuchtend roter Äpfel von einem Deckenbalken. Sam sah faszinierte zu, wie eine junge Frau versuchte, zuzubeißen, der Apfel jedoch unweigerlich wegsprang und vor ihrem verdutzten Gesicht hin und her baumelte.
»Schön, dass du da bist.«
Stella wandte sich an Dixie, die eine Erwachsenenversion von Sams Cape trug. »Danke für die Einladung und tausend Dank für das Kostüm. Dafür stehe ich ewig in deiner Schuld.«
Sie schüttelte den Kopf. »Lass Sam eine Weile hier herumspringen
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