Unsterbliche Liebe
Corvus, ehemaliger Wundarzt der Legio Nona Hispana, füllte den Türrahmen. Sein Gesicht war eingefallen, die Haut grau. Brauchte er Nahrung? Er hatte schon schlecht ausgesehen, als er vom Flughafen gekommen war, nun wirkte er völlig abgehärmt. Aber was erwartete man anderes? Eben hatte er noch mit dem Vampir verhandelt, der ihm seine Lebenspartnerin ausgespannt hatte, und allem Anschein nach war er mit schlechten Nachrichten zurückgekommen.
»Willst du zuerst saugen gehen?«, fragte Christopher.
Justin schüttelte den Kopf. »Später. Es geht noch. Eine diesbezügliche Einladung unseres osteuropäischen Bekannten habe ich dankend abgelehnt.« Er klang beinahe so angewidert wie Dixie, als man ihr, damals noch Menschenfrau und strikte Vegetarierin, einmal gebratene Nierchen zum Frühstück angeboten hatte. Er lächelte gequält. »Ich muss euch was sagen.«
Allem Anschein nach ging es um die Mitteilung lebensverändernder Neuigkeiten. Also machten sie es sich im Wohnzimmer erst einmal bequem – Christopher wie üblich in seinem Ohrensessel, Justin in seinem Ruhesessel, ohne sich in Ruheposition zu begeben. Wenn schon, denn schon, dachte sich Dixie und heizte obendrein den Gaskamin an. Anders als die beiden alten Freunde hatte sie noch ein entspanntes Verhältnis zum Element Feuer und verband damit vor allem Gemütlichkeit und Wärme. Aber schließlich hatte sie ja auch damals den großen Brand von London nicht persönlich miterlebt.
»Dann lass mal hören«, sagte Christopher, als sie alle bequem saßen.
»Was wollt ihr zuerst hören, die gute oder die schlechte Nachricht?«
»Immer zuerst die gute Nachricht«, sagte Dixie. Christopher widersprach ihr nicht.
»Die Gebietsfrage ist geklärt.« Justin erläuterte die territoriale Aufteilung.
»Einfach so?«, fragte Dixie. »Wir bekommen sechs Staaten zugeschachert. Haben da nicht die Bewohner und die Regierung der Vereinigten Staaten ein Wörtchen mitzureden?
»Die Menschen und die Regierung glauben nicht an unsere Existenz, Dixie«, sagte Justin gelassen. »Vereinbarungen unter Wiedergängern betreffen sie nicht.« Damit hatte er recht, aber der Gedanke, dass ein transsylvanischer Kriegsherr und ein altrömischer Wundarzt ihr ureigenes Land untereinander aufteilten, war gewöhnungsbedürftig.
»Wir brauchen Platz, um uns auszubreiten, Dixie. Wir können hier nicht länger als zehn, fünfzehn Jahre bleiben – höchstens zwanzig«, sagte Christopher.
Dem hatte sie nichts entgegenzusetzen. Christopher vagabundierte schon seit vierhundert Jahren durch die Lande, Justin noch weitaus länger. »So weit also die gute Nachricht.« Mit Einschränkungen. »Wie lautet nun die schlechte?«
Justin ließ sich Zeit. Als Sterblicher hätte er nun gründlich Atem geholt. »Vlad Tepes macht Ghule.«
Aus der Art, wie Justin das sagte, und der entsetzten Reaktion Christophers schloss sie, dass Vlad Tepes damit wirklich gegen alle Gesetze und Regeln verstieß.
»Bei Abel!«, sagte Christopher schließlich. »Bist du dir sicher?«
»Ich habe selbst zwei gesehen.«
Dixie hielt sich zurück mit ihrer Frage, worin denn der Unterschied bestünde. Es fiel ihr schwer genug.
»Meinst du, Gwyltha weiß davon?«, fragte Christopher.
Justin dachte nach. »Er würde es ihr nicht sagen. Sie vertritt einen klaren Standpunkt in dieser Sache.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber wenn Vlad dafür ist … Verdammt, ich weiß es nicht.«
»Sie wäre entschieden dagegen, Ghule zu machen«, sagte Christopher.
Nun war es Zeit für eine Erklärung. »Warum darf man denn keine Ghule machen?« Ihre Existenz bezweifelte sie erst gar nicht, hatte sie doch im Fall von Vampiren und Hexen so bitter bezahlt. An Ghule glaubte sie von Anfang an.
»Ghule sind willenlose Geschöpfe«, sagte Christopher, »die manche Vampire als Diener und Knechte für sich erschaffen. Für uns schlichtweg ein Machtmissbrauch.«
»Okay, aber was versteht man genau darunter?« Sie unterbrach sich und dachte kurz nach. »Ghule sind lebende Tote, sozusagen Untote, richtig?« Beide Männer nickten. »Wir sind doch auch tot, oder wären es zumindest, wenn wir keine Vampire wären. Wo ist der Unterschied?«
Christopher war schockiert. Auf ihre damalige Frage, ob sie nicht einfach von seinem Blut saugen könnte, hatte er gelassener reagiert. Und Justin sah aus wie ein Vampir, der einer Herz-Lungen-Reanimation bedurfte. »Dixie«, brachte Justin schließlich hervor, »es geht um den Unterschied zwischen Leben und
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