Unsterbliche Sehnsucht
menschliche Genom entschlüsselt und seine Eigenheiten erfasst hatten.
Das menschliche Genom machte die Menschen zu dem, was sie waren. Dreiundzwanzig Chromosomenpaare, wobei das letzte davon bestimmte, ob es ein Mädchen oder ein Junge wurde; die anderen hatten Nessa allerdings immer viel mehr fasziniert. Es gab Dinge, die grundlegender – und
einzigartiger
– waren als das Geschlecht. Das Genom stellte das lebendige Protokoll all dessen dar, was ihre Spezies aus evolutionärer Sicht getan und geschafft hatte. Es ging um Gene, die bereits existierten, seit der erste Mensch geatmet hatte und aufrecht gegangen war. Im Erbgut spiegelten sich also alle Umbrüche wider, welche die Menschen im Laufe der Evolution bewältigt hatten.
Und wenn sie richtiglag, hatte sich eine dieser Veränderungen vor dreitausend Jahren vollzogen, als die Herrschaften aus dem Himmel verbannt worden waren. Einige ihrer Artgenossen hatten damals ein neues Gen erworben. Und zwar eines, das sie als potenzielle Partner der Gefallenen kennzeichnete.
»Was hast du herausgefunden?« Mit seinen dunklen Augen musterte er ihr Gesicht, drang jedoch nicht in ihre Gedanken ein – wofür sie ihm auch sehr dankbar war.
»Wir haben die Migration der Menschen von einem Kontinent zum anderen rekonstruiert. Indem wir ihre Gene untersuchen, können wir sagen, wie verschiedene Rassen entstanden sind. Auf diese Weise bin ich auch dazu in der Lage, die Seelenverwandten aufzuspüren.
Eine lange Pause entstand, dann fluchte Zer heftig. »Bist du dir da sicher?«
»Ja.« Als sie einen Schluck Kaffee nahm, überraschte es sie nicht, dass er ganz wunderbar schmeckte. Zer wusste genau, was sie mochte. »Ich habe mir die mitochondriale DNA angesehen, denn sie wird von der Mutter an die Tochter weitervererbt. Ich kann eine mütterliche Abstammungslinie zwischen einer Frau und der nächsten feststellen. Was vielleicht vor langer, langer Zeit einmal eine einfache Mutation war« – wenn man es wie im Märchen ausdrücken wollte – »äußert sich heute quasi als eine Leuchtreklame mit der Aufschrift ›Achtung, Seelenverwandte!‹ Eine Tochter erbt den genetischen Marker von ihrer Mutter und gibt ihn dann wiederum an ihre Töchter weiter.«
»Bedeutet das, dass deine Mutter auch eine Seelenverwandte ist?«
Er begriff schnell. »Zumindest ist das sehr wahrscheinlich. Und wenn ich eine Schwester hätte, wäre sie auch eine ziemlich sichere Kandidatin. Es gibt aber trotzdem keine Garantie dafür. So, wie nicht jede brünette Frau eine brünette Tochter zur Welt bringt, vererben auch nicht alle Mütter, die den Seelenverwandten-Marker in sich tragen, dieses Gen direkt weiter.«
Zudem schien das Auftreten der Mutation auf eine bestimmte Region begrenzt zu sein. Die Veränderung hatte ihren Ursprung bei einer kleinen Gruppe von Frauen – ihrem dreizehnten Stamm, dem verlorenen Stamm Israels.
»Aber worin besteht die Verbindung?« Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Mischka und du, ihr seid ja nicht eng miteinander verwandt, wenn überhaupt.«
»Wir stammen beide von dem verlorenen Stamm ab. Als seine Mitglieder sich irgendwann zerstreuten und die Frauen wegzogen, verteilten sie auch den genetischen Marker, womit er in der normalen Bevölkerung aufging. Wer diesen speziellen Marker in seiner DNA trägt, diese Mutation des X-Chromosoms, der stammt von jenen Frauen ab, die einst nahe des Jordans geboren wurden und dort in ein und derselben Gemeinschaft gelebt haben. Mischka und ich besitzen also eine gemeinsame Vorfahrin. Bei Menschen aus einer Region auf der Erde findet man oft bestimmte übereinstimmende genetische Muster. Zwar nicht bei allen von ihnen, aber doch bei genügend. Wir können also die Migration dieser Gruppe nachverfolgen und nach diesem gemeinsamen Allel suchen.«
Zers Gesichtsausdruck nach zu urteilen, zog er schnell seine Schlüsse. »Dann war deine Forschungsarbeit zum dreizehnten Stamm Israels also doch gar nicht so ein Mist.«
»Nein!« Sie schaute ihn grimmig an. »Ganz und gar nicht. Es ist der wissenschaftliche Durchbruch des Jahrhunderts. Ich könnte einen Aufsatz darüber schreiben, um dessen Veröffentlichung sich jedes Fachmagazin auf der Welt reißen würde.«
»Kannst du die anderen Frauen ausfindig machen?« In seiner Stimme schwang fieberhaftes Interesse mit. Ja, das wüsste er nur allzu gern, was?
»Nicht alle Frauen mögen die Allele besessen haben, aber viele von ihnen. Wahrscheinlich waren sie über mehrere Generationen
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