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Unter aller Sau

Unter aller Sau

Titel: Unter aller Sau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Limmer
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das Gespräch und steckte das Handy weg.
    »Die Kollegen dürften gleich da sein.«
    Lederer, der in der Hocke neben Schneewittchen kauerte, befasste sich weiter mit der Toten. Er zog sanft ihre Lippen auseinander. Die beiden oberen Schneidezähne überlappten sich leicht. Er nahm eine kleine Stabtaschenlampe aus seiner Manteltasche, drückte die Kiefer etwas auseinander, leuchtete in den Rachen und sah sich prüfend die Zahnreihen an. Gisela verfolgte Lederers Handgriffe aufmerksam. Er ging mit professioneller Ruhe und Sicherheit vor. Als Lederer ihr letztes Jahr erzählt hatte, er wäre bei der Mordkommission in München gewesen, konnte sie sich das gar nicht vorstellen. Aber jetzt, wo sie ihn arbeiten sah, gab es keinerlei Zweifel. Lederer wusste genau, was er tat. Er steckte die Taschenlampe weg. Eine Hand legte er auf den Hinterkopf der Toten, mit der anderen tastete er das Genick, die Wirbelsäule und den Brustkorb nach einem Bruch ab. Er schloss dabei die Augen, verließ sich ganz auf seine Fingerspitzen, die ihm erzählten, dass eine der fliegenden Rippen rechts angeknackst war. Die Leber wies einen langen Riss auf, das Blut war in den Bauchinnenraum geflossen und hatte sich dort gesammelt.
    Lederer machte die Augen wieder auf, drehte Schneewittchen vorsichtig herum. Ein Käfer krabbelte ertappt davon. Lederer schob das Negligé nach oben, begutachtete den Bauchbereich. Eine kleine Wölbung unterhalb des gepiercten Nabels zeigte ihm den Bereich der Blutansammlung. Die Körperfläche, die auf dem Boden aufgelegen hatte, wies blauviolette Totenflecken auf. An der Innenseite des linken Handgelenkes erhob sich eine etwa zwei Zentimeter lange weiße Narbe wie ein Relief. Lederer schaute sich das rechte Handgelenk an, auch dort eine Narbe, zwei Zentimeter, rötlich. Diese war noch nicht ganz so alt, etwa ein halbes Jahr,. Schneewittchen hatte zweimal versucht, sich umzubringen.
    Lederer zupfte das Negligé auf Höhe der kleinen Brüste auseinander. Über der rechten Brust waren Buchstaben auf primitive Weise eingebrannt worden.
Ionel.
Gisela prägte sich das Wort ein.
    Lederer knickte den Saum eines der halterlosen Strümpfe um, ein Etikett, ein No-Name-Produkt. Er beugte sich vor, rollte den Strumpf bis zu den Knöcheln hinunter. Er untersuchte die Kniekehlen. Ein halbes Dutzend Einstiche. Lederer checkte das andere Bein, auch hier Einstiche in den Kniekehlen. Er zog Schneewittchen beide Strümpfe aus, untersuchte die Zehenzwischenräume. Nichts. Am kleinen Zeh ein silberner Ring. Glatt, ohne Gravur. All das kommentierte er mit einer Kompaktkamera.
    Lederers Blick ruhte für einen Augenblick auf Schneewittchen, dann stemmte er sich hoch, schaute Gisela an.
    »Kennen Sie sie?«
    Gisela schüttelte den Kopf. »Wie ist sie gestorben?«
    »Die Leber scheint durch einen oder mehrere Schläge so stark verletzt worden zu sein, dass es zu inneren Blutungen kam. Ich vermute, es hat zwischen drei und vier Stunden gedauert, bis sie tot war.« Er sah auf sein Rolex-Imitat. »Der Exitus dürfte heute Morgen gegen fünf Uhr eingetreten sein. Die Maden …«
    »Jaja, ich weiß.« Gisela musste sich zwingen, Lederer ins Gesicht zu schauen. »War sie drogensüchtig?«
    »Ich denke nicht. Junkies injizieren sich die Drogen nur dann in die Kniekehlen, wenn die Arme zerstochen sind. Außerdem gäbe es unauffälligere Stellen, um sich das Zeug zu spritzen.«
    »Zwischen den Zehen?«
    »Zum Beispiel.«
    Hinter Gisela tauchten Erwin und Richie auf. Sie zeigten unverhohlene Abneigung, als sie Lederer sahen. Gisela war froh, sich endlich von Schneewittchen abwenden zu können.
    »Ja, sag einmal, seid ihr noch ganz sauber, einfach abhauen, ohne mir Bescheid zu geben.«
    Erwin deutete auf Schneewittchen. »Wir haben sie doch extra zugedeckt, wegen der Viecher.«
    »Und einen Tatverdächtigen kann man doch auch nicht so mir nichts, dir nichts davonspazieren lassen«, unterstützte Richie seinen Freund und Helfer.
    »Erstens muss sich das noch rausstellen, ob das ein Tatverdächtiger war, und zweitens hätt ja einer gelangt, der ihm nachsteigt, und drittens hättet ihr den aufhalten und die Personalien aufnehmen müssen, wenn’s nach Vorschrift gegangen wär.«
    Erwin und Richie schauten sich schuldbewusst an. Lederer machte einen Schritt vor.
    »Und, wo ist er?«
    Erwin und Richie glotzten Lederer mit blankem Blick an.
    »Na, der Tatverdächtige.«
    Richie blinzelte kein einziges Mal, während er Lederer anstarrte und sich ausmalte, wie er

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