Unter aller Sau
hatte.
Schweren Herzens begann sie zu schreiben. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Lederer triumphierend einen Indianertanz um seinen Schreibtisch aufführen. Nach all den wüsten Erlebnissen mit der Niedernussdorfer Polizeimannschaft würde es ihm sicher grenzenlose Freude bereiten, den ganzen Stress und die Aufregung mit Zins und Zinseszins zurückzuzahlen.
Höchstpersönlich fuhr Gisela mit den vier dicht betippten und unterschriebenen Seiten nach Straubing. Sie wollte dem Hauptkommissar demonstrieren, dass sie trotz aller Gesetzlosigkeit eine aufrechte und mutige Frau war.
Lederer überflog den Text, während Gisela ruhig vor ihm stand. Er hatte ihr nicht mal einen Stuhl angeboten. Schließlich schaute er mit seinen klaren blauen Augen auf. Er lächelte, sein Schnauzer zuckte kurz. Dann zerriss er den Bericht.
Gisela wurde vor Erstaunen ganz schwindlig. Auf ihren fragenden Blick meinte er nur: »Das deckt sich nicht mit meinen Eindrücken.«
Mehr sagte er nicht. Erst im Zuge der Vorverhandlung gegen Ionel und Vlad Tomanovici erfuhr Gisela, was Lederer in seinem eigenen Bericht geschrieben hatte. Er war eine Lobeshymne auf die Einsatzbereitschaft und den Mut der Niedernussdorfer Polizei, allen voran Gisela Wegmeyer, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um den kaltblütigen Mord Vlad Tomanovicis an Polizeimeister Richard Hafenrichter und Kriminalhauptkommissar Karl Lederer zu vereiteln. Trotz heftigster Widersprüche des Rumänen und seines Anwalts verurteilte Richterin Susanne Killer Vater und Sohn zu lebenslangen Haftstrafen. Nach der Urteilsverkündung zwinkerte sie Lederer verschwörerisch zu. Er seufzte innerlich. Kein Gefallen im Leben war umsonst, so viel hatte er gelernt.
Vier Wochen nach ihrer Hochzeit brachte Gisela Jakob zu einem kleinen Pflegeheim im Bayerischen Wald. Wie ein kleines Kind hielt er auf dem Weg zu seinem Zimmer ihre Hand. Es war hell und freundlich, in einer Ecke stand sein Ohrensessel. Jakob setzte sich sofort hinein. Gisela wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge. Sie setzte sich auf einen Stuhl und packte die Tageszeitung aus. Sie begann vorzulesen, von hinten nach vorne, so wie Jakob es liebte. Beim Sportteil schlief er ein. Gisela legte noch eine Schachtel mit Pfefferminzbonbons auf den Tisch, bevor sie Jakob auf die Stirn küsste und ihn zärtlich anschaute. Sie war traurig. Aber neben dem Herzschmerz spürte sie gleichzeitig die tiefe Liebe zu ihm, eine Liebe, die niemand jemals würde zerstören können. Sie streichelte ihm zum Abschied die Hand. Golden schien die untergehende Sonne auf sein Gesicht, und im Traum spazierte er mit seiner geliebten Frau am Strand entlang. Er war glücklich.
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Über Christian Limmer
Christian Limmer, 1964 in Straubing geboren und aufgewachsen, hat versucht Theaterwissenschaft zu studieren, das Studium wegen Trockenheit abgebrochen und im Folgenden unter anderem als Cutter bei der Bavaria Film gearbeitet. An der UCLA in Los Angeles absolvierte er einen Drehbuchkurs, bevor er seine Karriere bei Film und Fernsehen begann. Seit 1993 schreibt er Drehbücher für Fernsehproduktionen wie »Polizeiruf 110«, »Tatort« oder »Unter Verdacht«. Er lebt mit seiner Familie in München. Sau Nr. 1 ist sein erster Roman.
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Über dieses Buch
Das kleine Örtchen Niedernussdorf wird aus seiner beschaulichen niederbayerischen Idylle gerissen, als die beiden Streifenpolizisten Erwin und Richie eines Morgens eine weibliche Leiche im nahegelegenen Wald entdecken. Dienststellenleiterin Gisela Wegmeyer benachrichtigt widerwillig die Mordkommission in Straubing. Und es kommt wie befürchtet: Der übereifrige und ehrgeizige Hauptkommissar Florian Lederer steht eine Stunde später auf der Matte, um mit seinen unnachahmlichen Ermittlungsmethoden Angst und Schrecken zu verbreiten …
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Impressum
eBook-Ausgabe 2012
Knaur eBook
© 2012 Droemer Verlag
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Maria Hochsieder
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: FinePic ® , München
ISBN 978-3-426-41340-1
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