Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
zu kichern. »Das ist zu komisch«, sagte sie.
»Oder, Mum?«, wiederholte ich.
Mum ließ die Arme an den Seiten herabfallen. »Wahrscheinlich schon«, sagte sie. Und nach einer Pause fügte sie hinzu: »Und wenn ich geahnt hätte, dass du erwachsen werden und dieses grässliche Buch schreiben würdest, hätte ich es vielleicht sogar darauf angelegt.«
»Mum!«
Mum seufzte. »Du bist genau wie dieser verfluchte Christopher Robin. Dieser Rotzjunge ist auch groß geworden und hat ein grässliches Buch geschrieben, und das nach all den hübschen Geschichten und Gedichten, die sein Vater für ihn geschrieben hat. Der hat auch nicht aufhören können mit der Leier, was für ein hundsgemeiner Vater A. A. Milne gewesen ist und dass er den armen bedauernswerten Christopher Robin nicht oft genug geknuddelt hat.« Mum, eine glühende Anhängerin von Pu, dem Bären, schüttelte sich. »Zum Glück«, sagte sie, »werden es wohl nicht allzu viele Leute gelesen haben und ernst genommen schon gar nicht.«
Mum mit ihrem besten Freund,
Stephen Foster, Kenia, ca. 1946
Die leidenschaftliche Tierliebe meiner Familie und die offensichtlich eher lauwarme Zuneigung zur eigenen Nachkommenschaft (von wegen »Blutsbande«!) lässt sich mindestens bis zur Kindheit meiner Großmutter zurückverfolgen, bei der eine einigermaßen verlässliche mündliche Überlieferung endet. Mums jüngere Schwester, Tante Glug, erinnert sich an meine Großmutter als erstaunlich tüchtige Haushälterin und als hochkompetente Krankenschwester, die alles für das Wohl ihrer Kinder tat, sie aber so gut wie nie in den Arm nahm.
»Bäh«, sagt Mum, deren mütterliche Umarmung ebenfalls steif, widerwillig und kurz ausfällt. »Dazu sind wir nicht erzogen worden.« Ihre Augen werden hell, und sie fügt sehr langsam, als müsste sie einer Außerirdischen ihre Kultur erklären, hinzu: »Wir sind eben durch und durch britisch: Zähne zusammenbeißen, keine Gefühle zur Schau stellen. So ist meine Mutter erzogen worden, so sind wir erzogen worden – und ich glaube nicht, dass es einem von uns geschadet hat.«
Ich verkniff mir die Bemerkung, dass sowohl meine Großmutter als auch Mum und Tante Glug Aufenthalte in Nervenheilanstalten hinter sich hatten. Einer solchen Diagnose hätte Mum ohnehin widersprochen: »Überspannt, meinst du wohl. Dagegen ist ja wohl nicht viel zu sagen. Das kommt nicht von zu wenig Knuddeln, das kommt von zu viel Adel, der führt zu einer chemischen Unausgewogenheit im Gehirn. Wir sind wie nervöse Pferde oder bissige Hunde; wir können nichts dafür. Es liegt uns im Blut.«
Der spröde Erziehungsstil der Macdonalds of Waternish ging einher mit einem bemerkenswerten Mangel an Fantasie, was die Namensgebung ihrer Kinder betraf. Die Jungen hießen Allan oder Donald, zur Not noch Patrick. Mädchen hießen Flora. Meine Großmutter, eine unerwünschte Nachzüglerin, die zwölf Jahre nach ihren Geschwistern zur Welt kam, hieß Edith, wurde aber von allen Donnie genannt. Donnie hatte das zehnte Lebensjahr noch nicht erreicht, als ihr Vater, Allan Macdonald, starb. Wie es dazu kam, ist umstritten. Mum behauptet, Allan Macdonald habe sich bei einem Reitunfall das Genick gebrochen, aber einem entfernten Cousin von mir zufolge ist er an einer schweren Erkältung gestorben.
»Kann ja sein«, sagt Mum ungeduldig, »aber der Genickbruch hat’s bestimmt nicht besser gemacht.«
Das Ergebnis war jedenfalls dasselbe. Grannys Vater war tot, und ihr grantiger Bruder Donald erbte das Anwesen. Die Erbschaftssteuer war horrend. Der grantige Donald verkaufte jedes Gemälde von Wert, jede Antiquität in dem Haus. Er ließ sich von seiner Frau scheiden, weil er ihre Art, Äpfel zu essen, nicht mehr aushielt, und seinen Sohn, den verrückten Patrick, schickte er gleich mit fort. Dann zog er sich in ein Turmzimmer auf der Nordseite des Hauses zurück, wo er blieb bis an sein Lebensende, und überließ die übrigen Zimmer dem Hausschwamm und einem schleimigen grünen Bewuchs, der sich über kalte Wände die Korridore entlang bis in die Küche ausbreitete.
Grannys Mutter, die im Testament ihres Ehemannes nicht vorkam, weil sowieso alle dachten, sie würde noch in derselben Nacht an einer Blasenentzündung versterben, saß währenddessen in einem Korbsessel in ihrem Schlafzimmer und wartete vergeblich auf Gevatter Tod. Es war so kalt in dem Haus, dass sie jeden Weg mit einer Petroleumlampe machte und immer mindestens fünf Wolljacken übereinander trug, die
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