Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
dreckig ist und schlecht riecht.
Zurzeit ist unsere Arbeit langweilig. Wir haben hier 4000 japanische Gefangene, und unsere einzige Aufgabe ist es, sie zu bewachen. Mehr Arbeit gibt es für das 5. Nigerianische Batallion nicht. Keine harte Arbeit. Aber sonst dürfen wir nirgends hin, und das Schlimmste ist, es gibt keine Aussicht, dass wir nach Hause dürfen.
Also, Master Huntingford, das sind alle Neuigkeiten von hier. Ich hoffe, es geht Ihnen gut. Oh! Ich hoffe, Sie sind so freundlich und denken an das Bild, um das ich Sie gebeten habe.
Ich bitte um Antwort.
Danke.
Ihr
John Okongo
Nicola Huntingford lernt reiten
Ca. 1947–1950
Mum auf Nane, Kenia, ca. 1954
Hätte Mum damals schon gewusst, welch grausame Schicksalsschläge noch auf sie warteten, hätte sie die Verletzungen ihrer Kindheit womöglich mit größerem Gleichmut hingenommen, aber es gehört zum Pathos und zur Gnade des Lebens, dass wir nicht wissen, welches unser einschneidendster Herzensschmerz oder unser höchstes Glück sein wird. Und so kam es im Lauf weniger Jahre, beginnend ungefähr mit ihrem dritten Geburtstag, zu einer Häufung von Ereignissen, die sie als absolut furchtbar empfand. Und weil es die ersten Tragödien ihres bis dahin kleinen Lebens waren, schmerzt die Erinnerung daran noch heute.
Die erste war die Geburt ihrer Schwester Glennis (Tante Glug) – sie hatte blonde Locken, Grübchen in beiden Backen und ein eigensinniges, hinterhältiges Wesen. »Schon als sie noch ganz klein war, hat sie sich eine Art Anfall zugelegt«, sagt Mum. »Und von da an haben meine Eltern sich nicht mehr getraut, ihr eine zu kleben, weil sie Angst hatten, damit den nächsten Anfall zu provozieren. Es spielte keine Rolle, wer von uns beiden ungezogen war, ich hab die Prügel gekriegt, und Glug hat dazu gegrinst.«
Dann zogen meine Großeltern aus dem Paradies des Bungalows in Kaptagat Arms aus und mieteten eine ehemalige Offiziersmesse der Armee, die näher an der Stadt Eldoret lag. Mein Großvater baute die Räume um, verwandelte die Baracke in ein Heim. »Der Bau war sehr lang und schmal«, sagt Mum, »aber mit Steinen und Mörtel wusste mein Vater umzugehen. Er zog im Wohnzimmer Balken ein, damit es gemütlich und alt aussah, und baute einen wunderschönen Kamin.«
Im Haus waren keine Rohre verlegt, deshalb musste das heiße Wasser für die Wanne aus der Küche ins Bad getragen werden. Zum Klo war es ein strammer Marsch bis ans Ende des Gartens, »dort warteten viele Bienen, manchmal sogar Schlangen«, sagt Mum, »und vor denen hab ich mich so gefürchtet, dass ich seitdem unter Darmträgheit leide.« Wenn es dunkel war, bekam jeder einen Nachttopf, »der unter dem Bett leise vor sich hin dampfte und die Bettfedern rostig machte«, sagt Mum. »Zur Schlafenszeit mussten Glug und ich auf den Nachttopf, bis wir fertig waren. Und wenn wir Ewigkeiten dort hockten. Aus purer Langeweile haben wir Rennen veranstaltet und sind auf unseren Töpfen quer durch das Schlafzimmer gehoppelt.«
Glug hatte häufig Malariaanfälle, weil sie mit einem Anfall drohte, wenn ihr jemand eine Pille eintrichtern wollte. »Doktor Reynolds musste extra von Eldoret herausgefahren kommen, um ihr eine Spritze zu geben«, sagt Mum. »Auf der Flucht vor ihm ist Glennis kreuz und quer durchs Zimmer geflitzt, und er musste sie erst einmal einfangen. Einmal wollte er nach ihr hechten und ist mit dem Fuß in ihren Nachttopf getreten. Ich sehe ihn heute noch wütend durchs Zimmer hinken. Wir haben natürlich gewiehert vor Lachen, Malariaspritze hin oder her.«
Bäder fanden unter der grimmigen Aufsicht der betrunkenen Ayah Cherito statt, die ständig, ohne ersichtlichen Grund, auf Mum einprügelte, als wollte sie eigentlich Tennisschläge oder Kugelstoßen üben – und die dann so tat, als wäre Mum selber schuld, wenn sie ihrer Schlaghand im Weg war (Glug entging natürlich den unberechenbaren Hieben des alkoholseligen Kindermädchens, so tief verwurzelt war die Legende ihrer Anfälle und die Angst, durch die leiseste Provokation zum Auslöser eines solchen zu werden). »Während Cherito mich durch das Badezimmer prügelte, ließen es sich meine Eltern im Wohnzimmer oder auf der Veranda mit Mums selbstgemachtem Wein gut gehen und bekamen gar nicht mit, was passierte. Und Glug hielt natürlich den Mund, um sich nicht um die wunderbare Unterhaltung zu bringen.«
Meine Großmutter machte Wein aus Kartoffeln, Rosinen, Gerste und Feigen und was ihr sonst noch unter die Finger kam.
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