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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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Nandi gelebt, wusste alles über sie und ihre Gebräuche. Das war Ende der Zwanziger und in den Dreißigern, als es nicht gerade in Mode war, unter Eingeborenen zu leben, aber bei ihm hatte das keine abartigen Gründe, er hat die Leute studiert .« Mum schaut mich mit schmalen Augen an und sagt: »Ich weiß schon, du schreibst es in eins von deinen grässlichen Büchern und stellst es so dar, als wäre er selber zum Eingeborenen geworden, aber so war es nicht. Er war sehr britisch und sehr anständig, und er hat unter Garantie kein unschuldiges Nandi-Mädchen angerührt oder sonstwelche Scheußlichkeiten getan.«
    Diese Bemerkung weckte in mir den Verdacht, dass Onkel Dicken aus Mums Sicht doch etwas auf dem Kerbholz haben musste – ein Verdacht, der sich verstärkte, als ich einen Aufsatz mit dem Titel »Sexuelle Entwicklung bei den Nandi Kenias« stieß, in dem seine Arbeit zitiert wird. Laut der Untersuchungen meines Großonkels Dicken beginnt das Sexualleben des Nandi-Jungen, »sobald er aus der Isolation nach der Beschneidung (kakoman tum) hervorkommt, und das der Mädchen mit Beginn der Pubertät, d.h. mit ungefähr zwölf Jahren …«
    Mein Großvater, Roger »Hodge«, bildete sich selbst zum Ingenieur aus und wurde für den Bau der Eisenbahnlinie von Eldoret nach Kitale engagiert. »Sein Beförderungsmittel war ein Esel«, sagt Mum, »aber als der Esel sich in eine Herde Zebras verliebte und mit ihnen durchbrannte, musste Dad aufs Fahrrad umsteigen.«
    Kurze Zeit nach dem Verlust des Esels und der Liaison mit dem Fahrrad lernte mein Großvater meine Großmutter kennen und heiratete sie. Dann brach der Krieg aus, jeder überdachte für sich selbst seine Vorstellungen von Heimat und Treue, und meine Großeltern gingen zurück nach Skye; mein Großvater meldete sich freiwillig und machte seine Mutter zur Schottin, um zu den Cameron Highlanders zu kommen. Aber weil er in Kenia aufgewachsen war und gearbeitet hatte, schickte der Wehrausschuss ihn nach Burma, wo man ihm das Nigerianische Regiment anvertraute.
    »Na ja, du kennst ja die Briten«, sagte mein Großvater einmal zu mir, als meine Großeltern bei uns in Malawi zu Besuch waren. »Die sehen nicht mal den Unterschied zwischen einem Nigerianer und einem Kenianer, von dem zwischen einem Kikuyu und einem Kalenjin oder einem Ibo und einem Hausa ganz zu schweigen.« Mein Großvater kaute am Mundstück seiner Pfeife und rülpste eine aromatische Tabakwolke zu mir herüber. »Nigeria war nichts für mich, besten Dank«, sagte er. »Die Briten haben immer so viel Aufheben darum gemacht, aber erstens ist es dort unerträglich heiß, und zweitens fressen einen die Moskitos förmlich auf. Burma ging eigentlich. Immerhin hatte man den Krieg, um sich von dem verfluchten Sumpfklima abzulenken.«
    Mein Großvater hatte lustige graue Augen und eine wunderbar vorwitzige Adlernase. Er hat mir ab und zu von Burma erzählt, aber immer nur unzusammenhängende Episoden, als überkämen ihn die Erinnerungen – ähnlich den plötzlichen Anfällen der Amöbenruhr, von denen er nach dem Krieg gelegentlich heimgesucht wurde – ohne Vorwarnung, aber dafür umso heftiger, und wären genauso schnell wieder verschwunden.
    Irgendwann in diesem Krieg war mein Großvater verwundet worden. »In Burma, glaube ich, aber frag mich nicht, wie«, sagt Mum. »Darüber wurde natürlich nicht geredet. Ich glaube, es war Schrapnell oder so etwas. Er hatte an der Hüfte eine Beule, so groß wie ein Tennisball. Glug und ich haben immer gebettelt: ›Bitte, bitte, zeig uns deine Kriegsverwundung! Zeig uns deine Kriegsverwundung!‹, und er ließ die Shorts herunter, damit wir sie bewundern konnten. Und dann ging es weiter: ›Daddy, nimm die Zähne raus!‹, damals hatten sie nämlich alle ein Gebiss. Sobald sie vierzig waren, war es so weit – ab zum Zahnarzt, raus mit den alten Beißern und rein mit den künstlichen.«
    Aber Tante Glug sagt: »Nein, nein, nein. Kein Schrapnell in Burma. Es war ein Steinbrocken in Nigeria. Ich weiß es genau. Jemand hat mit einem Steinbrocken nach ihm geworfen, und heraus kam diese eindrucksvolle Beule.« Sie winkt mir mit ihrer Zigarette zu. »Da kam seine Verletzung her, ganz bestimmt.« Sie wirkt so sicher, dass ich erwäge, an ihre Version der Ereignisse zu glauben, bis meine Cousine Cait und ich in der untersten Schublade der Anrichte im Esszimmer auf Langlands ein Telegramm entdecken:
    Eilbrief an Mrs. EMB Huntingford
    c/o Mrs. Macdonald
    Waternish

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