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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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eigensinnige, hinterhältige Kameradschaft ihr fehlte.
    Die kurzen Novemberregen kamen, gefolgt von den wundersam grünen Weihnachtstagen. Die längeren Regenfälle begannen im März und dauerten bis weit in den Mai. Auf dem Weg zur Schule sammelten sich dicke Schlammklumpen unter Mums Schuhen. Die Wege wurden zu Bächen, und Großvater musste Ketten um die Reifen legen, um irgendwo hinfahren zu können. Ende Mai setzte langsam trockeneres Wetter ein, die nächste lange Dürre hatte begonnen.
    »Als Erstes sah man eine Staubsäule, die sich vom Rand des Plateaus her näherte«, erzählt Mum von der sporadischen, fast schon mystischen Ankunft somalischer Reiter. Bei Einbruch der Dunkelheit hatten sie Eldoret erreicht, man hörte die Glöckchen an den Hälsen der Leitstuten klingeln, und die Männer riefen sich in ihrer exotischen Wüstensprache gegenseitig etwas zu. Ihre kleinen Lagerfeuer leuchteten orangerot aus dem Grasland, und die Silhouetten der Pferde und Männer geisterten über das Vlei.
    Hunderte von Ponys waren plötzlich da, sehnig und abgezehrt nach dem langen Treck aus den Dürregebieten Somalias, quer durch ganz Kenia. »Nur die kräftigsten, robustesten Tiere überlebten diese lange, schwierige Reise«, sagt Mum. Die Treiber – mindestens so zäh wie die Tiere, die sie verkaufen wollten – wirkten unter den weißen Tüchern ihrer Wüstentracht mager und geheimnisvoll, trocken und plissiert wie Motten.
    Noch in derselben Woche wurden alle Pferde zum Anwesen von Betty Webster gebracht, einer der Reitlehrerinnen in Eldoret. »Sie stellte Bänke und ein aus Stroh geflochtenes Schutzdach bei sich auf der Reitbahn auf und hielt eine Auktion ab, bei der all diese herrlichen Ponys verkauft wurden. Ich verpasste das Ganze natürlich wegen der Schule. Aber Vater und Mutter gingen hin. Sie wollten mir eins der somalischen Ponys kaufen, weil sie dachten, dass ein eigenes Pony mir helfen würde, über das Schicksal des armen Suk hinwegzukommen.«
    Damals, in den frühen dreißiger Jahren, bevor die ersten Vollblüter nach Ostafrika kamen, hatte mein Großvater auf seinem somalischen Pony Billy den Kenia Gold Cup gewonnen. »Keine Schönheiten, diese Ponys«, sagt Mum. »Sie hatten Hirschhälse, Gänsehintern, breite Schultern, und vor allem waren sie klein – durchschnittliche Widerristhöhe 13,2 Handbreit. Aber sie hatten Ausdauer und waren schnell wie der Wind, wenn sie in der Stimmung waren.«
    Bei der Auktion verguckte meine Großmutter sich in einen robusten grauen Wallach. Ihr gefiel seine Art, einen Menschen direkt anzuschauen. Ein Treiber mit dürren Augen, den Mund voller Khat, gewährte ihr einen Proberitt, bevor sie das Pony kaufte. Wohl zum ersten und einzigen Mal in ihrem Leben benahm die Kreatur sich wie ein Engel, ließ ihre Hufe und Zähne in Augenschein nehmen, trat nicht aus, biss nicht, übersprang bereitwillig jedes Hindernis, das sich ihr in den Weg stellte, ließ sich problemlos wenden und anhalten. Meine Großmutter zahlte dem Treiber ein beträchtliches Sümmchen und gab dem Pony den Namen Nane, das Swahili-Wort für die Zahl acht, die ihm auf den Rumpf gebrannt war.
    »Von da an hat er keinen Schritt mehr gemacht«, sagt Mum. »Er wollte nur noch fressen, was man ja verstehen kann bei einem Tier, das sein Leben lang auf Wüstenrationen gesetzt war.« Jeden Morgen vor der Schule ließ Großvater seine Vollblutstute Vanity zur Rennbahn hinausgaloppieren, und Mum zuckelte auf Nane hinter ihnen her. »Die Rennbahn war in der Nähe des ehemaligen Internierungslagers für italienische Kriegsgefangene, deshalb gab es dort jede Menge überwachsener, eingestürzter Latrinen, und man musste sich höllisch in Acht nehmen, nicht in eins der Löcher zu fallen. Ansonsten war es jedoch das ideale Gelände für einen Morgengalopp.«
    Nane hasste den morgendlichen Ausritt. »Für ihn war es eine unnötige Störung eines ansonsten perfekten Tages, wo er seine Ruhe hatte und futtern konnte«, sagt Mum. Der Gaul hatte die Marotte, den Hals aufzuplustern, bevor er in derart trickreichen, wütenden Verrenkungen zu bocken anfing, dass Mum regelmäßig zu Boden geschleudert wurde. »Ich spürte, wie ihm der Hals anschwoll, und fing an zu schreien: ›Hilfe, er plustert sich!‹, und da tauchte er auch schon ab, schoss wieder hoch und schmiss mich in hohem Bogen aus dem Sattel. Und ich klopfte mir – in aller Seelenruhe, versteht sich – den Staub aus den Kleidern, schwang mich wieder aufs Pferd, sobald ich

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