Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
zu Bewusstsein gekommen.«
Bettys Sarg wurde auf einen großen alten Ochsenkarren gelegt. Alle ihre Hunde durften mitfahren und kauerten zwischen Stapeln von Kränzen. Zwei schwarze Percherons zogen den Karren zum Friedhof. »Das war natürlich alles schrecklich tragisch«, sagt Mum, »und trotzdem waren wir uns einig, dass es für Betty keinen passenderen Tod hätte geben können.«
Mum denkt einen Augenblick nach. Und was sie dann sagt, bestätigt mir, was ich immer schon vermutet habe, ohne Worte dafür zu finden. Ihrer Ansicht nach muss man die unmittelbare Bedrohlichkeit einer Situation immer gegen den Glanz des Nachrufs abwägen, mit dem man rechnen darf, wenn die Situation einen das Leben kostet: »Ich glaube, deshalb habe ich die gefährlichen Seiten des Reitens nie gesehen. Weil es für mich immer ein furchtloser und edler Sport war, und wenn es einen erwischte, war es wenigstens ein glorreicher Abgang.«
Nicola Fuller of Central Africa fährt zu ihrem Klassentreffen
Mum und Dad als Frischverlobte, Kenia, 1964
Als ich ein Kind war, schilderte Mum mir Kenia als ein solch traumhaft schönes Land, dass seine Makellosigkeit mit Worten unmöglich wiederzugeben war. Und so blieb mir nur eine unvollkommene Vorstellung von dem äquatorialen Licht, das angeblich so perfekt war. Selbst ihre Anspielungen auf die revolutionären Untergrundtaktiken der Mau-Mau-Krieger, die für die Unabhängigkeit von der britischen Herrschaft kämpften, waren Teil dieser Liebesgeschichte. In Mums Erzählungen war Kenia ein Land von solch sepiafarbener Schönheit, Fruchtbarkeit und Erfüllung, dass es sich für einen Weißen lohnte, dafür zu sterben (wenn man als Schwarzer für Kenia sterben wollte, war das eine ganz andere Geschichte; dann war man ein unangenehmer, aufmüpfiger Kikuyu-Anarchist). Mum ließ nie einen Zweifel daran, dass es der erste große Schock ihres Lebens war, als sie Kenia verlassen musste. »Ich hätte nicht im Traum daran gedacht«, sagt sie. »Meine Kindheit war märchenhaft, bevölkert mit lauter zauberhaften Menschen.«
Ich war sechzehn, als ich mir das Buch White Mischief von James Fox zu Gemüte führte. Der Autor schildert darin den berüchtigten Happy-Valley-Set, eine Gruppe aristokratischer Lebemenschen, die zwischen den beiden Weltkriegen nach Kenia gekommen waren, um dort Unmengen von Tieren zu schießen, sich sehr schlecht zu benehmen und einen hedonistischen Tod zu sterben. Nicht gerade wenige von ihnen kamen bei Jagdunfällen, Flugzeugabstürzen oder durch Drogen und Alkohol ums Leben. Morde, Geschlechtskrankheiten und Selbstmorde sorgten für weitere Verluste, und richtig ins Wanken geriet die ganze infame Sause, als am 24. Januar 1941 ruchbar wurde, dass der neununddreißigjährige Josslyn Hay, zweiundzwanzigster Earl of Erroll, nach einem Jahrzehnt der Skandale, Scheidungen, Affären und Techtelmechtel auf der Ngong Road in Nairobi erschossen worden war.
Zu den herausragenden Persönlichkeiten des Happy-Valley-Set gehörten Sir Jock Delves Broughton, Alice und Frédéric de Janzé, Lady Idina Sackville, Diana Caldwell, Jack Soames, John Carbery und Kiki Preston, aber kein einziger dieser Namen war mir vorher je zu Ohren gekommen. Als ich Mum fragte, ob das die zauberhaften Menschen ihrer märchenhaften Kindheit waren, schüttelte sie energisch den Kopf, und ihre Augen begannen zu glühen. » Wir waren doch nicht der Happy-Valley-Set. Nein, das waren sehr, sehr leichtfertige, verantwortungslose und todlangweilige Menschen. Ganz anders als wir.«
»Du hast doch gesagt, die Leute in Kenia waren so lustig und interessant«, sagte ich.
»Nicht der Haufen«, sagte Mum.
»Wodurch habt ihr euch unterschieden?«
Mum schaute mich an, als hätte ich sie mit einem toten Fisch gepeitscht. »Durch alles«, sagte sie. »Wir waren Pakka Pakka Sahibs. Und diese Leute waren schlicht grausam und dumm. Prasser.« Und dann holte meine Mutter tief Luft. »Ich will dir eine Geschichte über das Pack erzählen«, sagte sie. »Eine schockierende Geschichte.«
Mum und ich saßen auf der Veranda der in deutschem Besitz befindlichen Farm in Mkushi, Sambia, auf die wir Mitte der 1980er-Jahre gezogen waren. Es war am Ende der Trockenzeit, nicht lange nachdem ich das Buch von John Fox gelesen hatte. In der Luft lag der salzige Geruch brennender Msasa-Wälder. Dad hatte mit dem Pflügen begonnen, um das Land auf die Regenfälle des Frühlings vorzubereiten, und der Staub der Äcker vermischte sich mit dem Rauch der
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