Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
brennenden Wälder und färbte den Himmel gelblich grau. Eine Herde Kühe kam, nach ihren Kälbern muhend, aus der Senke heraufgetrottet. Die Hirten pfiffen und riefen: »Ha! Ha!« Unsere bockigen, bissigen Buschponys grasten gelassen auf der Koppel. Eine große gelbe Sonne war unterwegs zu den Bergen Zaires. Diese Einzelheiten habe ich im Kopf behalten, weil mir bei der Geschichte, die Mum mir an diesem späten Nachmittag erzählte, zum ersten Mal der Gedanke kam, dass Sambias gelassene Einfachheit dem aufregenden Glamour Kenias allemal vorzuziehen war.
»Kurz nachdem meine Mutter von Schottland nach Kenia gekommen war, ging sie bei einer reichen Großwildjägerin aus dem Happy-Valley-Set in Stellung«, sagte Mum. »Inky Porter war stinkreich und verdorben, aber als Aristokratin würde ich sie nicht bezeichnen.« Mum schaute missbilligend. »Zu einem Aristokraten gehört doch wohl eine gute Erziehung, oder? Noblesse oblige .« Mums Schnaufen sollte zeigen, dass Inky Porters Verhalten solchen Kriterien nicht einmal ansatzweise entsprach. »Jedenfalls wurde diese Inky Porter mitten in der Jagdsaison schwanger, was ihr sehr ungelegen kam, und daraufhin engagierte sie meine Mutter, damit sie ihr mit dem Baby half.«
»Deine Mutter war also das Kindermädchen von Inky Porter?«, stellte ich klar.
Mum kniff die Augen zusammen. »Kindermädchen? Nein, nein, nein«, sagte sie. »Kindermädchen, wie das klingt.«
Eine Zeitlang suchten wir nach der passenden Bezeichnung. Ich schlug Hausmädchen und Tagesmutter vor.
»Nein«, sagte Mum. »Sie war mehr als das.«
»Krankenschwester?«
»Nein, sie war doch keine Krankenschwester.«
Ich versuchte es noch mit Gouvernante und Au-pair-Mädchen, aber auch damit konnte ich bei Mum nicht landen. Meiner Meinung nach führte kein Weg daran vorbei, dass meine Großmutter als Kindermädchen gearbeitet hatte. Nach Mums Ansicht mangelte es mir an Klassenbewusstsein. »Vergiss nicht, dass meine Mutter aus einer sehr guten Familie stammte«, mahnte sie. »Sie war nicht einfach nur ein Kindermädchen.«
Jedenfalls war meine Großmutter nicht-einfach-nur als Kindermädchen bei der nicht-wert-aristokratisch-genannt-zu-werdenden Inky Porter in Stellung gewesen. »Und Inky Porter«, fuhr Mum fort, »trank literweise Gin und schnupfte Berge von Koks. Sie war eine passionierte Ehebrecherin und Intrigantin, und der Gedanke an Kinder war ihr ein Graus. Direkt nach der Geburt übergab Inky Porter ihr Baby meiner Mutter und verschwand nach Uganda, um viele Tiere zu schießen, literweise Gin zu trinken und überhaupt die verlorene Zeit wieder aufzuholen. Leider war das arme Baby in Gin eingelegt auf die Welt gekommen und litt unter Kokainentzug. Es war entsetzlich. Krämpfe, Fieber, Zitteranfälle – das Kleine starb qualvoll in den Armen meiner Mutter, nur wenige Tage alt.«
Für eine Weile saßen meine Mutter und ich schweigend da und stellten uns den kleinen Körper von Inky Porters totem Baby vor. »Und deshalb geht mir dieses Tamtam um das Happy-Valley-Pack so entsetzlich gegen den Strich«, schloss Mum. »All die Bücher und Filme und was nicht alles, die ihr Leben so glanzvoll erscheinen lassen. Aber von dem armen toten Baby redet keiner.« Mum sprach jetzt ganz langsam und deutlich, damit ich nie wieder den Fehler machte, sie – oder irgendjemanden aus ihrer Familie – mit dem Happy-Valley-Set in einen Topf zu werfen. »So haben wir in Eldoret nicht gelebt. Wir waren umgeben von Pakka-Pakka-Sahibs, ordentlichen Menschen. Menschen wie Betty Webster und Zoe Foster – guten, gesunden Menschen, die gern an der frischen Luft waren.«
Die Menschen, die Mum kannte, hatten haufenweise Hunde und Pferde, spielten zweimal die Woche Kricket oder Rugby und machten jeden Abend lange erholsame Spaziergänge. An den Wochenenden veranstalteten sie Schauspringen oder jagten ihre Ponys über den Parcours von Reiterfesten. »Das war anstrengend genug, da blieb nicht mehr viel Zeit und Kraft für sinnlose Vergnügungen«, sagte Mum. Ein-, zweimal im Monat putzte der ganze Bezirk sich für Laientheateraufführungen heraus, bei denen zotige Lieder gesungen und das sehr britische Bedürfnis befriedigt wurde, sich über Männer in Frauenkleidern zu amüsieren. »Wir hatten jede Menge Spaß, ohne über die Stränge zu schlagen«, sagte Mum.
Während ich mein letztes Jahr auf der Highschool in Simbabwe hinter mich brachte, machte Vanessa ein Jahr Pause von ihrem Job – sie arbeitete damals in London bei
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