Unter dem Georgskreuz
seinen Gehilfen zu, und sie packten das Bein, drehten den Kopf zur Seite, und das Messer schnitt tief in das Fleisch. Beauclerk zögerte nicht, zeigte äußerlich keinerlei Bewegung, als sein Patient den Rücken hochbog und durch den Lederknebel hindurch zu brüllen versuchte. Dann kam die Säge. Ihre Bewegung schien endlos, aber Bolitho wußte, daß es nur wenige Sekunden waren. Ein dumpfer Fall war zu hören, als sie das amputierte Bein in ein Faß fallen ließen, das an Bord nur »Keulen und Flügel« genannt wurde. Jetzt die Nadel, glänzende, blutige Finger unter der schwankenden Laterne. Beauclerk sah Bolithos Hand auf dem Gelenk des Mannes, die goldenen Admiralslitzen vor der rauchbeschmierten Haut.
Jemand murmelte dann: »Aufhören, Sir. War nichts, der ist tot.«
Beauclerk trat zur Seite. »Nehmt ihn.« Er drehte sich um, als der tote Seemann vom Tisch gezogen wurde: »Das ist nie leicht!«
Bolitho hörte Allday hinter sich hüsteln. Sicher stellte er sich seinen Sohn vor, der davontrieb und in die Tiefe sank, wie es dieser Mann gleich würde.
Und wofür?
Er sah wieder auf den Tisch, die Blutlachen, den Urin, die Zeichen von Schmerz. Hier kannte der Tod keine Würde, hier gab es auf diese Frage keine Antwort.
Er ging zur Leiter zurück und hörte Beauclerk fragen: »Warum ist er hierhergekommen?« Aber er wartete die Antwort nicht ab. Beauclerk sah funkelnde Abwehr in Alldays Blick und fragte: »Du kennst ihn doch besser als jeder andere. Ich würde es gern wissen.«
»Weil er sich selber Vorwürfe macht!« Er erinnerte sich an seine eigenen Worte, als die amerikanische Flagge sank. »Es wird jedesmal schlimmer, verstehen Sie!«
»Ja, ich glaube, ich verstehe ihn!« Er wischte sich die blutigen Hände. »Vielen Dank.« Er runzelte die Stirn, als zwei Verletzte ein heiseres Hurrah versuchten. »Das wird ihm auch nicht helfen.« Doch Allday war verschwunden.
Wieder in London wäre alles ganz anders. Seine Erfahrungen würden eines Tages anderen helfen. Sie würden ihn sicher in seiner Laufbahn voranbringen. Er blickte sich um, erinnerte sich an das ernste Gesicht des Admirals nach jenem anderen Gefecht. So mußte er nach all den Kämpfen ausgesehen haben. Und auch an dem Tag, als sein Neffe an Bord gehoben worden war. Wie zwei Brüder, die sich liebten.
Er lächelte und wußte, daß seine Gehilfen ihn für hartherzig halten würden, wenn sie es gesehen hätten. London hin oder her, nichts würde je wieder so sein wie früher.
Die Räume des Kommandanten auf der
Indomitable
waren nicht mehr so groß wie damals, als sie noch ein Zweidekker war. Doch nach seinem ersten Kommando auf der Brigg
Larne
fand James Tyacke sie immer noch palastartig. Obwohl sie wie das übrige Schiff klar zum Gefecht geräumt worden waren, hatte der kurze Schußwechsel nichts zerstört, denn an Backbord lagen sie in Feuerlee.
Bolitho saß in einem Sessel und lauschte den gedämpften Schritten und dem Zerren und Schurren aus seiner eigenen Heckkajüte, wo die Zwischenwände wieder eingezogen und die Pulverspuren weggewaschen wurden bis zum nächsten Mal.
Tyacke meinte: »Wir sind noch mal davongekommen, Sir Richard!«
Bolitho nahm ein Glas Cognac, das Tyackes Bootsführer Fairbrother anbot. Er kümmerte sich um seinen Kapitän ohne viel Aufhebens und schien zufrieden mit seiner Aufgabe und der Tatsache, daß sein Kapitän ihn mit Eli, seinem Vornamen, ansprach.
Er sah sich um. Die Kajüte war sauber, aber spartanisch eingerichtet. Nichts verriet das Wesen des Mannes, der hier lebte und schlief. Nur die große Seekiste war Bolitho vertraut. Er wußte, daß er in ihr das Seidenkleid aufbewahrt hatte, für das Mädchen, das er einst hatte heiraten wollen. Sie hatte ihn nach der entstellenden Verletzung in der Schlacht von Alexandrien zurückgewiesen. Wie lange Tyacke das Kleid dort aufgehoben hatte, wußte er nicht, aber er hatte es Catherine angeboten, als er sie im Rettungsboot der
Golden Plover
nach den furchtbaren Tagen auf See gefunden hatte. Bolitho wußte, sie hatte es Tyacke nach ihrer Ankunft in England zurück an Bord geschickt, makellos sauber und gebügelt, falls es in seinem Leben wieder eine Frau geben sollte. Vielleicht lag es jetzt wieder in der Kiste als Erinnerung an die Ablehnung von damals.
Tyacke sagte: »Ich habe den Bericht fertig. Die Prise ist nicht viel wert.« Er machte eine Pause. »Nicht nachdem wir mit ihr fertig waren. Sie hat über fünfzig Tote und mehr als doppelt so viele Verwundete. Sie
Weitere Kostenlose Bücher