Unter dem Georgskreuz
hatte ja viele zusätzliche Seeleute an Bord – als Besatzung für Prisen, kein Zweifel. Wenn die uns geentert hätten…« Er hob die Schultern. »Das wäre dann eine ganz andere Geschichte.«
Neugierig musterte er Bolitho, hatte natürlich von seinem Gang ins Zwischendeck erfahren und daß er einen der Schwerverwundeten beruhigt hatte, während der Chirurg ihm das Bein abnahm. Mit innerlichem Schaudern dachte er an Beauclerks fahle Augen. Ein kalter Fisch – wie alle anderen seinesgleichen auch.
Bolitho meinte: »Sie war die
U.S.S. Success
, die ehemalige französische
Dryade
.« Er beantwortete Tyackes Blicke, die er wie eine körperliche Prüfung empfand. »Ihr Kommandant ist gefallen!«
»Ja. Es war das reinste Schlachthaus. Unsere Stückführer haben ihr Handwerk gut gelernt.« Das klang wieder stolz. Der Schrecken, den er eben beschrieben hatte, konnte ihn nicht schmälern.
Er hielt sein Glas gegen das Licht und meinte. »Als ich Ihr Flaggkapitän wurde, war das eine noch größere Herausforderung, als ich erwartet hatte.« Er lächelte leicht.
»Und ich wußte von Anfang an, daß ich in tiefes Wasser springen mußte. Das betraf nicht nur die Größe des Schiffs und meine Verantwortung den Leuten gegenüber, sondern auch meine Rolle im Geschwader. Ich war so an mein selbständiges Kommando gewöhnt – eine Isolierung, die ich selber gewollt hatte, wenn ich jetzt zurückblicke. Und unter Ihrer Flagge gab es da plötzlich die anderen Schiffe mit ihren Kommandanten und ihren Launen und Schwächen.«
Bolitho schwieg. Es war einer der seltenen Augenblicke der Vertraulichkeit, etwas, das er auf gar keinen Fall unterbrechen wollte, ein gegenseitiges Verstehen, das sich schon seit Beginn angedeutet hatte, als sie sich das erste Mal auf Tyackes Schoner
Miranda
trafen.
Tyacke meldete sich wieder: »Ich habe mein eigenes Logbuch geführt. Ich merkte bald, daß man sich als Flaggkapitän nicht nur auf sein Gedächtnis verlassen darf. Als ihr Neffe verwundet an Bord gehoben wurde, nach seiner Flucht aus dem Yankee-Gefängnis, habe ich alles notiert, was ich von ihm hörte.« Er schaute auf die geschlossene Stückpforte, als könne er die amerikanische Prise in Lee der
Indomitable
segeln sehen. Sieger und Besiegte arbeiteten Hand in Hand auf ihr, um ein Behelfsrigg zu setzen, das sie bei gutem Wetter und mit einigem Glück nach Halifax bringen würde.
»Auf der
Success
gab es einen jungen Leutnant. Er war durch Splitter so verletzt, daß ich mich fragte, was ihn eigentlich noch am Leben hielt.« Er räusperte sich, als schäme er sich für die Gefühle, die in seiner Stimme mitklangen. »Ich habe mit ihm noch eine Zeitlang geredet. Er hatte natürlich große Schmerzen, aber niemand konnte ihm mehr helfen.«
Bolitho sah die Szene so klar, als sei er selber dabeigewesen. Dieser starke, zurückgezogene Mann saß neben seinem Gegner und war wahrscheinlich der einzige, der seine Schmerze n teilen konnte.
»Irgendwie erinnerte er mich an Ihren Neffen, Sir. Ich dachte, es läge an dem Gefecht, daran, daß er geschlagen war und nun mit seinem Leben dafür zahlte. Aber das war’s nicht. Er konnte einfach nicht glauben, daß ihr anderes Schiff den Kampf abgebrochen, die Flucht ergriffen und sie im Stich gelassen hatte.«
Man hörte Flüstern vor der Tür, Offiziere warteten auf Rat oder Befehle. Tyacke wußte, daß sie warteten, aber nichts konnte ihn davon abhalten, seinen Bericht zu beenden.
»Der Leutnant hieß Brice«, fuhr er fort, »Mark Brice. Er hatte einen Brief, der abgeschickt werden sollte, wenn ihm das Schlimmste widerfahren sollte.« Seine Worte klangen jetzt bitter. »Ich habe andere immer vor solchen niederdrückenden Gefühlen gewarnt. Damit fordert man nur den Tod heraus!«
»Brice?« Bolitho fühlte einen Schauder über den Rücken laufen, als höre er Adam selber die Situation beschreiben.
»Es gab einen Kapitän Joseph Brice, der Adam einlud, überzulaufen, nachdem er gefangengenommen worden war.«
»Ja«, bestätigte Tyacke, »der Leutnant war der Sohn des Kapitäns. Eine Adresse in Salem!«
»Und der Brief?«
»Das übliche, Sir! Von Pflicht war die Rede und von Vaterlandsliebe, was ja alles nicht mehr viel taugt, wenn man tot ist.« Er nahm ein Büchlein vom Tisch. »Dennoch bin ich froh, daß ich es aufgeschrieben habe!«
»Und das andere Schiff, James? Macht Ihnen das Kummer?«
Tyacke zuckte deutlich mit den Schultern. »Nun ja, ich habe eine Menge gelernt von den Yankees. Sie ist
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