Unter dem Georgskreuz
unwürdiges Ende erspart worden waren. Sie hielten gerade einen Mann auf dem Tisch fest. Sein nackter Körper war noch von den Pulverspuren des Gefechts gezeichnet. Gesicht und Hals glänzten schweißüberströmt. Er verschluckte sich fast am Rum, den man ihm einflößte, ehe man ihm den Lederknebel zwischen die Zähne drückte. Die Schürze des Chirurgen war dunkel von Blut. Kein Wunder, daß sie allgemein Fleischer hießen. Doch Philip Beauclerk war nicht typisch für die seelenlosen, hartgesottenen Chirurgen, die man für gewöhnlich in der Flotte traf. Er war jung und sehr gut ausgebildet und hatte sich mit einer Gruppe von Ärzten freiwillig auf Kriegsschiffe gemeldet. Es war allgemein bekannt, daß die Verhältnisse an Bord und die rohe Behandlung von Verwundeten mehr Männer töteten als der Feind. Nach Ende seiner Vertragszeit würde Beauclerk ans College der Chirurgen in London zurückkehren und zusammen mit seinen Kollegen Empfehlungen und Handbücher entwickeln, die vielleicht die Leiden von Männern wie diesen erleichterten.
Beauclerk hatte sich gut gemacht nach dem Kampf mit der
U.S.S. Unity
und hatte auch Adam Bolitho gut geholfen, als der nach seiner Flucht aus dem Gefängnis an Bord gebracht worden war. Er sah ernst und gesetzt aus und hatte die blassesten Augen, die Bolitho je gesehen hatte. Er dachte zurück an das Treffen, als Beauclerk seinen besten Lehrer erwähnt hatte, der, wie er selber jetzt hier, damals die Bedingungen auf der alten
Hyperion
studiert hatte – Sir Piers Blachford. Immer noch erinnerte sich Bolitho an ihn. Groß und gebückt, an einen Reiher erinnernd, war er durch die Decks gewandert, hatte Fragen gestellt, sich mit jedermann unterhalten – ein ernster Mann, der sehr viel Mut zeigte und Hingabe bewies und den selbst die hartgesottensten Teerjacken bald respektierten. Blachford war bis zum letzten Tag an Bord geblieben, als die
Hyperion
den Kampf endgültig aufgegeben hatte und mit Bolithos wehender Flagge untergegangen war. Viele waren mit ihr versunken, ein besseres Grab konnten sie nicht finden. Über das alte Schiff gab es sogar ein Lied:
»Wie die Hyperion sich den Weg freischoß.«
Es wurde in Lustgärten und Tavernen immer laut bejubelt, selbst von denen, die nur ihren Namen kannten, doch nichts vom Leben an Bord ahnten – auch nichts von diesem Teil des Lebens hier unten.
Ein paar Augenblicke lang sah Beauclerk auf, seine Augen glitzerten wie Glassplitter im Licht der schwingenden Laternen. Er blieb sehr für sich, was in einem so vollen Schiff gar nicht leicht war. Er wußte seit einiger Zeit von Bolithos verletztem Auge und hatte von Blachford erfahren, daß es keine Hoffnung auf Besserung gab. Doch hatte er darüber kein Wort verloren.
Der Verwundete lag jetzt ruhiger, wimmerte nur vor sich hin, sah nicht das Messer in Beauclerks Hand und auch nicht die Säge, die ein Gehilfe bereithielt.
»Willkommen hier unten, Sir Richard!« Er beobachtete ihn, schätzte ihn ein. »Wir haben’s bald geschafft.« Dann schüttelte er kurz den Kopf, als der Seemann seinen Kopf zum Admiral hin wandte.
Bolitho war tief betroffen und fragte sich, ob er deswegen hierhergekommen war. Dieser Mann könnte sterben. Bestenfalls würde er als Krüppel an Land gesetzt. Sein Bein war zerschmettert, sicherlich von einer zurückprallenden Kanone.
Tyackes Bemerkung beschäftigte ihn immer noch, die er an jenem Septembertag gehört hatte, als so viele gefallen waren.
Wofür das alles?
Eine feindliche Fregatte erobert, doch so zusammengeschossen, daß sie einen plötzlichen böigen Schauer nicht überleben würde oder nie wieder im Verband kämpfen könnte. Auch die
Virtue
war schwer angeschlagen, hatte zwanzig Mann verloren.
Überraschenderweise hatte ihr Kommandant, der Teufelskerl M’Cullom, völlig unverletzt überlebt – diesmal jedenfalls noch!
Die
Indomitable
hatte nur vier Gefallene, aber fünfzehn Verwundete gehabt. Bolitho trat an den Tisch und packte den Mann am Handgelenk. Der Gehilfe des Chirurgen trat zur Seite und starrte Beauclerk fragend an.
Bolitho schloß seinen Griff um das kräftige Handgelenk des Mannes und sagte leise: »Ruhe behalten, Ruhe!« Er sah, wie Beauclerk stumm den Namen mit den Lippen formte. »Sie haben sich tapfer geschlagen, Parker.« Er sprach etwas lauter und sah sich um zu den im Schatten liegenden Männern, die seinen Worten lauschten: »Das gilt für euch alle!«
Er spürte, wie das Handgelenk des Mannes jetzt zitterte. Beauclerk nickte
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