Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
wohingegen der Erfinder der Sammelumkleidekabine sich was schämen sollte.
Jetzt jedoch ist die Zeit der tiefen Ausschnitte und der tiefen Blicke gekommen. Ein ganz neues Lebensgefühl für mich, über das ich mich sofort mit meiner Freundin Johanna austauschte.
Johanna hat zwei Söhne im Alter von zwei und fünf Jahren. Aber das merkt man nicht. Ab und zu macht sie mal einen sehr lustigen, politisch völlig unkorrekten Witz über ihre Kinder, ihr Bindegewebe oder ihren Alltag als berufstätige Mutter. Aber ansonsten kann man sich mit Johanna wie mit einem ganz normalen Menschen unterhalten.
Derzeit aber profitiere ich natürlich von ihrer Erfahrung, ihrer Gelassenheit und ihrer unerschütterlichen Geduld mit mir und meinen neurotischen Spät- und Erstgebärendennöten.
Auf das Thema Brüste reagierte Johanna jedoch unerwartet übellaunig: «Ich muss leider sagen», knurrte sie, «dass zu einem Zeitpunkt, wo alle von meiner ersten Schwangerschaft wussten, mein Busen so ziemlich der Einzige war, der noch nichts davon mitbekommen hatte und sich entsprechend unbeeindruckt zeigte. Auf Brüste ist wirklich überhaupt kein Verlass. Meine dusseligen Dinger sind während beider Schwangerschaften überhaupt nicht gewachsen. Nach den Geburten sind sie mir dann fast um die Ohren geflogen. Und jetzt sehen sie aus wie leere Sunkist-Tüten.»
Das sind ja rosige Aussichten. Ein Grund mehr, sich an meiner Oberweite zu freuen, solange sie diesen Namen noch verdient und der Bauch darunter noch nicht alle Blicke auf sich lenkt. Ich habe bereits fünf Kilo zugenommen und bin noch nicht mal im dritten Monat. Traurig schaue ich auf meine Körpermitte, an der die Fernfahrerteller nicht spurlos vorbeigegangen sind.
Schwanger sehe ich nicht aus, sondern verfressen. Ich glaube, meine Taille hatte sich schon wenige Stunden nach der Zeugung von mir verabschiedet. Und natürlich traut sich niemand, mich zu fragen, ob ich ein Kind erwarte – hält man mich doch schlicht für ein bedauernswertes Opfer des Jo-Jo-Effektes.
Neulich versuchte eine Mutter mehrerer Kinder – wie viele, habe ich vergessen – mich zu trösten: «Die erste Schwangerschaft findet im Bauch, die zweite vorm Bauch statt.»
Ich schaute erst irritiert, dann konsterniert, und schließlich verabschiedete ich mich zügig, denn mir war klargeworden, dass die Frau dachte, ich würde mein zweites Kind bekommen.
Mir sind persönlich Frauen bekannt, die noch bis zum sechsten Monat in ihre 36er-Jeans ohne Stretchanteil passten. Eine mir auch im unschwangeren Zustand völlig fremde Konfektionsgröße.
Aber jetzt? Ich lebe von Mahlzeit zu Mahlzeit, und dazwischen mache ich entweder ein Mittagsschläfchen oder nehme eine gehaltvolle Zwischenmahlzeit zu mir.
8. Oktober
Mein Geruchssinn führt sich heute mal wieder auf wie Paris Hilton: zickig und unberechenbar. Harmlose, gar liebgewonnene Gerüche verursachen bei mir von einem Tag auf den anderen Brechreiz. Gestern hätte ich fast meinem Mann ins Gesicht gegöbelt, weil er, wie immer, nach dem Rasierwasser roch, das ich ihm zu Weihnachten geschenkt habe.
Unsere Waschmittelvorräte mussten wir verschenken. Selbst im Bus kann ich nicht neben jemandem sitzen, dessen Kleider mit «Persil» gewaschen sind. Im Supermarkt laufe ich Slalom. Um Fisch mache ich einen großen Bogen. Bei der Käsetheke halte ich sicherheitshalber die Luft an, während die Aufenthalte bei den Süßwaren bis zu dreißig Minuten in Anspruch nehmen können.
«Kinder machen glücklich und unglücklich zugleich.
Eltern sind alles in allem mit ihrem Leben weder glücklicher
noch unglücklicher als kinderlose Paare.»
STEFAN KLEIN
12. Oktober
I ch hab es nicht übers Herz gebracht, es ihr zu sagen. Ich traf Mona gestern auf einer Party. Ich trug eine weitfallende Tunika über schwarzen Leggins – die Uniform der Fülligen – und stand natürlich am Buffet.
Mona hatte ein Kleid an, in dem ich ausgesehen hätte wie ein eingesperrter Hefeteig. Ich hatte Mona ziemlich lange nicht mehr gesehen. Ich sehe sie eigentlich ziemlich oft ziemlich lange nicht, weil sie im Vorstand eines börsennotierten Unternehmens ist und nicht besonders viel Zeit hat.
Tatsächlich ist sie die einzige meiner Freundinnen, bei der ich unsere Verabredungen mit ihrer Sekretärin koordinieren muss. Außerdem ist Mona eine der wenigen Frauen, die ich kenne, die bewusst und freiwillig auf Kinder verzichten.
Ich bewundere sie für vieles, auch dafür.
Anfang dieses Sommers – mir
Weitere Kostenlose Bücher