Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Frau für gar keinen Lebensentwurf mehr mit ruhigem Gewissen entscheiden. Als Hausfrau und Mutter kommst du dir berufstätigen Müttern gegenüber vor wie ein lächerliches und ärgerliches Relikt aus der Steinzeit. Du lässt dich von deinem Typen versorgen, siehst zu, dass du die Karottenflecken aus der Auslegeware wieder rauskriegst, kannst dich stundenlang über Pilzinfektionen im Windelbereich unterhalten – aber über sonst nichts. Erinnerst du dich noch, dass Nicole letztes Jahr nach Paris ging, weil ihr Mann dort für ein Jahr einen Job bekommen hatte und sie sich endlich mal nur um die Kinder kümmern wollte?»
Ich erinnerte mich gut: «Auf den Spielplätzen lernte sie nur Kinderfrauen und Tagesmütter kennen, und es war ihr so peinlich, Vollzeitmutter zu sein, dass sie sich als Au-pair-Mädchen aus Deutschland ausgab.»
«Genau», rief Mona laut, und die Leute guckten schon. «Das Wort ‹Rabenmutter› gibt es im Französischen überhaupt nicht! Bei uns dagegen zerfällst du als berufstätige Mutter in zwei halbe Menschen, die jeder versuchen, hundert Prozent zu geben, und die von ständigem schlechtem Gewissen geplagt sind: Du verlässt die Konferenz um fünf Uhr und hastest zur Krippe? Na bravo! Dein Chef wird sich kaum anmerken lassen, wie genervt er ist – jedoch froh sein, dass dein inkompetenter Kollege sich für das traditionelle Familienmodell entschieden hat, und ihm das bei der nächsten Gehaltsrunde hoch anrechnen. Dein Kind hat schlecht geschlafen? Na bravo! Es fühlt sich gewiss von seiner karrieregeilen Pseudomutter abgeschoben, und du bist dir auf einmal ganz sicher, dass aus deiner Tochter die erste weibliche Kettensägenmörderin Deutschlands wird.»
«Ich finde aber, als berufstätige Frau ohne Kind hat man es auch nicht gerade leicht. Jetzt mal abgesehen von den verständnislosen Blicken und Fragen überzeugter Eltern, die eine Frau ohne Kinderwunsch für einen biologischen Unfall halten. Außerdem trägst du als kinderlose Frau durch dein unkooperatives Gebärverhalten auch noch Mitschuld am demographischen Zusammenbruch deines Landes. Lässt selber deine Gebärmutter brachliegen, aber lästerst im Freibad über Proll-Kinder, die außer ‹Ey, Alter› nichts sagen und außer Pommes nichts essen. Fragst du dich nicht ständig, ob die Entscheidung gegen Nachwuchs die Entscheidung sein wird, die du in deinem Leben am bittersten bereuen wirst? Du wirst es nie genau wissen, aber es könnte sein, dass du das Beste in deinem Leben verpasst hast. Hast du dir nie Kinder gewünscht?»
Mona schwieg einen Moment und sagte: «Doch. Als ich sechzehn war, wollte ich später mal welche haben. Aber dann begann das Leben. Und aus später wurde nie. Findest du das schlimm? Ist es für das Lebensglück wichtig, Kinder zu haben? Ist es falsch oder bedenklich, keine Kinder zu wollen?»
«Nein. Aber mir fehlt ein Kind zu meinem Glück. Das ist leider so. Und ich finde es ungeheuerlich mutig, wie du dich freiwillig gegen Kinder entschieden hast. Es gibt so wenige gute Vorbilder für kinderlose Frauen. Wie gut, wie erfüllt wird unser Leben letztlich ohne Kinder sein? Kinder hat man wenigstens sicher, was man vom Job, vom Partner und von der Immobilie ja nicht behaupten kann. Nicht, dass einem die Blagen automatisch den Lebensabend versüßen, den Nachttopf ausleeren, das Pflegeheim bezahlen oder die welkende Hand halten. Aber höchstwahrscheinlich bereut man das Vorhandensein von eigenen Kindern seltener als ihr Fehlen.»
«Niemand bereut seine Kinder – was erstaunlich ist, wenn ich mir einige der ganz besonders misslungenen Exemplare so ansehe», sagte Mona und betrachtete angewidert einen Vierjährigen, der seit geraumer Zeit ununterbrochen «Scheiße» schrie und zeitgleich versuchte, seine kleine Schwester zu erschlagen. Die Mutter der beiden wirkte nicht hundertprozentig glücklich und rief in regelmäßigen Abständen: «Bruce Elvis! Du hörst jetzt sofort auf, die Cheyenne Sunshine mit der Schaufel in die Fresse zu hauen!»
«Ich habe Angst vor meinem Leben ohne Kind», sagte ich trotzdem. «Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, es sinnvoll zu füllen. Es ist noch so verdammt lang, und durch ein Kind kriegst du den Sinn des Lebens ja quasi frei Haus geliefert. Da musst du dich nicht mehr groß fragen, warum du auf der Welt bist, wie du die Zeit angemessen, das heißt mit möglichst wenig Fernsehen, rumkriegst und wie du es schaffst, ein paar schöne Spuren deines Daseins zu hinterlassen. Das
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