Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Leben mit Kindern erscheint mir leichter als das ohne. Hannelore Elsner hat mal gesagt, es sei eine Gnade für kinderlose Frauen, dass sie nicht wissen, was sie versäumt haben. Aber ich ahne es. Leider.»
Seit diesem Gespräch im Freibad vor drei Monaten hatten Mona und ich uns nicht mehr gesehen.
Bis gestern auf der Party.
Wir sprachen über mein neues Buch. «Ich bin schwanger mit einem neuen Roman», sagte ich – und das war immerhin die halbe Wahrheit. Ich sagte ihr nichts von dem neuen Menschen in meinem Leben.
Dann erzählte Mona mir von einer gemeinsamen Bekannten, die seit neuestem schwanger ist.
«Aber die ist lesbisch und fünfundvierzig!», rief ich erstaunt.
«Sie war vier Wochen in Amerika, und im Frühling bekommt sie Zwillinge. Da muss man auch nicht lange grübeln, um zu wissen, wie die zustande gekommen sind. Ist doch irre, oder? Bald sind wir die Einzigen, die noch übrig sind.»
Mona lachte.
Ich schwieg und fühlte mich wie eine Verräterin.
Ich kenne das Gefühl zu gut: wieder eine weniger im kleinen Kreis der Kinderlosen. Irgendwann, fürchtest du, bist du die Einzige, die nach Mitternacht noch an der Bar sitzt, die mehr als drei Gläser Wein trinkt, die keinen Babysitter bezahlen muss, wenn sie mal ins Kino will, die nicht während der Schulferien Urlaub nimmt und die sonntags keine Ausflüge in Erlebnisbäder oder Tierparks unternimmt, sondern einfach nur Zeit hat.
Irgendwann, fürchtest du, wirst du verdammt einsam sein. Nicht weil du keine Kinder hast, sondern weil alle anderen welche haben.
1 Uhr 15
Ich habe vor fünf Minuten Mona eine Mail geschrieben:
Liebe Freundin, ich habe die Seiten gewechselt. Bin schwanger. Willst du mir verzeihen und Patentante werden?
1 Uhr 18
Monas Antwort:
Jaaaaaaa, ich will! Aber nur mit unbedingter Einmisch-Befugnis. Ich will dir Bescheid sagen dürfen, wenn du zu einer unerträglich dösigen Spielplatz-Tusse wirst, wenn du unser Kind falsch erziehst oder dir mehr als den nötigen Stress machst, indem du jeden Kuchen selber backst und jede Laterne selber bastelst. Am Tag nach dem Abstillen will ich mich mit dir besaufen und auf den Kindergeburtstagen will ich den Blagen die Fritten wegfressen. Herzlichen Glückwunsch, alte Kürthy, ich freue mich für dich!!! Und für mich!!!
13. Oktober
Schwangerschaftswoche: 11
Zustand: Das Baby ist fünf Zentimeter groß. Nicht besonders viel, wenn man bedenkt, für welche Turbulenzen es bereits jetzt sorgt.
I mmer noch habe ich Angst, dass meine Schwangerschaft ein Traum ist, aus dem ich vorzeitig aufwachen muss. Es gibt diese Momente, in denen ich plötzlich ganz sicher bin: Jetzt ist es vorbei! Nichts lebt mehr in mir. Ich weiß: In meiner Gebärmutter fault ein toter Zellhaufen, klein wie ein Gummibärchen, der mein Kind hätte werden sollen. Lebloser Gewebemüll, dem ich so gerne ein Leben geschenkt hätte.
Ich bin mir bewusst, dass ich nicht viel auf meine Bauchgefühle geben sollte. Schließlich habe ich mein entstehendes Baby mit einer Magen-Darm-Grippe verwechselt und lange Zeit ganz fest, tief in mir drinnen gespürt, dass ich einmal Thommy Ohrner heiraten würde.
Trotzdem habe ich in solchen grauenvollen Minuten der Panik um mein ungeborenes Glück bereits zweimal meinen Frauenarzt angerufen. Und jedes Mal bekam ich einen kurzfristigen Termin für einen Quickie-Ultraschall, der meine Angst – zumindest für ein paar Stunden – besänftigte.
Mein Gynäkologe ist Spezialist für neurotische Frauen. Meine psychisch auffällige Freundin Esther ging in den ersten drei Monaten ihrer Schwangerschaft jeden Tag zu ihm zum Ultraschall. Danach nur noch ein- bis zweimal die Woche.
Und Daniela war hormonell bedingt so deprimiert und ängstlich, dass sie ihm immer eine Dreiviertelstunde lang den Kittel vollgeheult hat, während draußen das Wartezimmer überquoll.
Ja, der Mann hat schon viel gesehen in seinem Leben. Ich stelle mir seinen Beruf wahrhaft nicht leicht vor und vermute, dass er jedes Mal tief durchatmet, wenn ich seine Praxis verlasse.
Frauen sind ja sowieso schon oft komisch. Aber die schwangere Frau erscheint mir zunehmend wie eine hormongesteuerte Zeitbombe.
Nie weißt du, wann dich der Hunger, die Angst, das Glück oder die Übelkeit überkommt. Denn genauso überwältigend wie die Furcht, das Kind zu verlieren, kann die Furcht sein, das Kind zu bekommen. Und ich habe auch schon vor purem Glück und reiner Vorfreude mitten auf der Straße losgeheult, weil ein
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