Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
könnte sein, dass Vera Hagedorn meine letzte Heldin ohne Kind ist. Wer weiß, vielleicht bekommt sie ja am Ende sogar eins. Ich weiß aber noch nicht, von wem.
Heute schrieb ich die folgenden Seiten:
Ich weiß genau, was es über den Seelenzustand einer Frau aussagt, wenn sie von einer ausgiebigen Shoppingtour ausschließlich mit Formwäsche nach Hause kommt. Ich selbst bevorzuge allerdings den englischen Terminus «Shapewear».
Es handelt sich hierbei um latexartige Spezialunterwäsche, einen hautfarbenen, engen Schlauch, der den Speck an den unerwünschten Stellen plattdrückt und Üppigkeit an erwünschten Stellen durch brachiales Zusammenquetschen vortäuscht.
Der Werbeslogan «Jeder Tag, an dem Ihnen niemand sagt, dass Sie einen schönen Hintern haben, ist ein verlorener Tag!» hatte mich augenblicklich überzeugt.
Ja, es gab wahrhaftig schon zu viele verlorene Tage in meinem Leben.
Doch die sauteure Leberwurstpelle, das war mir auch klar, würde nicht ausreichen, meine angeschlagene Psyche zu heilen. Denn im Grunde wusste ich ganz genau, in welche besorgniserregende Lebensphase ich gerade hineinschlitterte.
Egal, ob mit oder ohne «Power-Panties» und «Slim Cognito»-Wäsche: Ich befand mich an der Schwelle zu meiner zweiten Pubertät.
Freundinnen, Schwestern, Frauen in der Mitte eures Lebens, ich sage euch: Wie ein hormongebeutelter Teenager hat auch die Frau um die vierzig das Gefühl, ihr Leben müsse mehr zu bieten haben, und ganz genauso wie mit vierzehn steht «Selbstverwirklichung» wieder ganz oben auf der To-do-Liste der pubertierenden Frau.
Und eine Frau auf dem Weg der Selbstverwirklichung, das weiß nun wirklich jeder, ist eine Frau auf dem Kriegspfad.
Diese Passage ist übrigens leider eins zu eins aus dem wahren Leben entnommen: Ich erinnere mich an ein Wochenende in Berlin Anfang vergangenen Jahres, an dem mich die Lebensmitte-Krise übel erwischte.
Ich war auf der «Fashion Week» zur Modenschau meines entzückenden und genialen Freundes Guido Maria Kretschmer eingeladen.
Guido versteht mich. Und alle anderen Frauen auch. Deswegen macht er die schönsten Kleider, die man sich vorstellen kann. Und immer ist auch was Bezauberndes für Damen dabei, deren Oberarme, Oberschenkel, Waden, Brüste und Steißbeine man tunlichst nicht den ungnädigen Augen der Öffentlichkeit aussetzen sollte.
Guido hat die Seele eines Mädchens. Entweder er ärgert sich, dass er zu dick ist, oder er leidet unter der Nebenwirkung des Schlankseins: Hunger und die ständige peinigende Angst, wieder zuzunehmen.
Guido hat homöopathische Fett-weg-Spritzen ausprobiert, obwohl ihm schon bei Erwähnung einer Nadel schwarz vor Augen wird. Er hat Pillen genommen, sich auf «Power-Plates» durchrütteln lassen, bis ihm schlecht wurde, er hat mal dieses und mal jenes und mal alles von seinem Speiseplan gestrichen. Nichts half auf Dauer.
Aktuell überlegt er, sich entweder so zu lieben, wie er ist, oder in ein Krisengebiet zu ziehen, wo es nicht so viel zu essen gibt.
Bei unserem letzten Telefonat sagte er: «Ich könnte heulen, weil ich zu dick bin. Ich gehöre zu einer Gruppe, zu der ich nicht gehören will. Wenn ich auf einem Plakat Ronaldo in Unterwäsche sehe, nehme ich mir sofort vor abzunehmen. Das hält fünf Minuten. Aber in meinem Herzen trage ich bauchfrei, da bin ich für die Zucht gemacht und nicht für die Mast.»
Er schluckte, und ich spürte, dass er sich im Hinterkopf bereits Gedanken über das Abendessen machte.
Meine Frage nach einem Anti-Appetit-Drink, von dem ich neulich irgendwo gelesen hatte, wühlte ihn augenblicklich auf. «Das ist doch krank! Andere hungern, während wir uns zwanghaft den Appetit verderben. Wir überlegen jeden Tag, was wir heute mal nicht essen. Pervers ist das!» Nach kurzem Luftholen fuhr er fort: «Selbstverständlich würde ich das Zeug sofort nehmen, als Tee, als Creme, als Depotspritze, egal wie. Wobei ich eigentlich auch ohne Appetit esse. Ich bin meistens satt – aber ich kaue eben gern. Selbst in der Bahn, wo das Essen schlecht ist, freue ich mich, wenn ich in der Nähe des Speisewagens sitze. Die Anwesenheit von Essen beruhigt mich.»
Guido gehört, wie ich, nicht zu den Leuten, die sich wöchentlich ein Stück Zartbitterschokolade langsam auf der Zunge zergehen lassen oder mit fünfzig Gramm Spaghetti oder einer Kugel Eis kommod auskämen. Wenn er telefonisch ein üppiges Abendessen bestellt, tut er so, als ob noch jemand in der Wohnung wäre, und
Weitere Kostenlose Bücher