Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Alter noch über Untreue aufregt, macht sich lächerlich.»
«Sex im Kombi, Latexlaken, jüngere Liebhaber – ich wünschte, ich hätte eure Luxusprobleme», seufzte Elli müde. «Ich habe keine Probleme, weil ich überhaupt nicht dazu komme, welche zu haben. Ich habe nicht mal Zeit, mich einsam zu fühlen. Vier Kinder und ein Mann im Schichtdienst: Mich gibt es überhaupt nicht mehr als Person. Ich frühstücke morgens im Auto. Wie soll ich in so einem durchgetakteten Leben einen Liebhaber unterbringen? Meinem jüngsten Sohn werden nächste Woche die Polypen rausgenommen, mein Ältester hat eine Vorhautverengung und in Deutsch eine Fünf. Ich habe rein gar nichts zu erzählen, was euch interessieren könnte. Selbst für spannende Sehnsüchte fehlt mir die Kraft. Meine größte Sehnsucht ist, endlich mal wieder ausschlafen zu können.»
Elli ließ ihren Kopf auf den Tisch sinken, schloss die Augen und murmelte:
«Nur eine schlafende Frau ist eine zufriedene Frau.»
Der neunte Monat, immer noch!
Zustand Mutter: Gestern dachte ich, ich würde Fruchtwasser verlieren. Fehlalarm. Vorgestern irritierte mich ein Ziehen, das ich für eine frühzeitige Wehe hielt. Fehlalarm. Ich kann keine drei Minuten in einer Stellung sitzen, ohne dass mir irgendwas Neues wehtut. Beschwerlich und unerfreulich das Ganze derzeit. Heute Morgen war ich nach langer Zeit mal wieder schwimmen. Die Beine schleiften über den Beckenboden, während ich oben sehr viel Wasser schluckte. In der Sauna erntete ich anschließend amüsierte Blicke, die ich niemandem übelnehmen konnte. Denn ich muss ja leider selbst lachen, wenn ich zufällig und unerwartet meinem Spiegelbild begegne. Dass es physikalisch überhaupt möglich ist, mit so einem Bauch nicht andauernd vornüberzukippen, grenzt an ein Wunder. Selbst mein Frauenarzt begrüßte mich jüngst mit den Worten: «Na, ob ich da nicht doch noch eines übersehen habe?»
Ein Brüller. Ich persönlich bin ja der Ansicht, dass Ärzte sämtlicher Fachrichtungen sich mit Scherzen auf Kosten ihrer Patienten sehr zurückhalten sollten.
I ch kann nicht glauben, dass ich ein Kind bekomme. Ich schaue auf meinen Bauch herunter, in dem dieser Junge ein Eigenleben führt mit Schlaf- und Wachphasen, Schluckauf, Turnstunden. Niemand ist mir näher. Trotzdem unvorstellbar: ein Leben mit ihm.
In vier Wochen kommt er, und ich habe weder eine passende Bordüre fürs Kinderzimmer noch den Hauch einer Ahnung, wie es wohl sein wird, wenn er da ist.
Manchmal schaue ich in sein Bettchen. Da liegt alles bereit: Ein Schmuseteddy von Patenonkel Clemens. Eine happig teure hellblaue Decke in Bio-Strick-Qualität. Von der Decke hängt eine Spieluhr. Ich habe mich tatsächlich nicht entblödet, mir das Ding die letzten Abende auf den Bauch zu legen und meinen Innenraum ein paarmal mit «Guten Abend, gute Nacht» zu beschallen.
Habe irgendwo gelesen, dass man Babys im Leib bereits an Melodien gewöhnen kann, die sie dann nach der Geburt beruhigen. Schaden wird’s ja wohl nicht.
Aber es ist nicht zu fassen, dass demnächst ein Baby, na, um genau zu sein, sogar mein Baby in diesem Bett rumliegt und, von der Spieluhr wahrscheinlich völlig unbeeindruckt, das Zimmer zusammenbrüllt.
Alles ist bereit. Hier fehlt nur noch ein Kind.
Liefertermin: 28. April.
Der Countdown läuft.
«Ich wollte immer Mutter sein. Es wird mich dazu anregen, über Vergänglichkeit und Verlustängste zu schreiben. Denn es gibt nichts, was mehr Mut erfordert, als sich dieser Verbundenheit auszuliefern. Das Kind macht mich unheimlich verwundbar.»
JUDITH HOLOFERNES
12. April – zehnter Monat
Gewicht: Eine Dame spricht darüber nicht.
Zustand: Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass ich ein Kind haben werde, und ich frage mich wirklich, wie ich es schaffen soll, vorher noch zur Pediküre zu gehen. Ich möchte unter keinen Umständen mit ausgefransten Zehennägeln entbinden, auf denen noch Reste der In Farbe der vorletzten Sommersaison zu sehen sind.
W as soll man antworten auf die nun häufigste aller Fragen? «Und? Wann geht’s los?»
Es kann jeden Moment so weit sein. Alles ist bereit. Oder nein, noch nicht ganz.
Ich hatte mir das so vorgestellt: Gemütlich und nahezu bewegungslos auf dem Sofa abhängen – und zwar lange vor Einbruch der Dunkelheit. Ohne Scham und schlechtes Gewissen «Die Dornenvögel» auf DVD anschauen – und zwar kurz nach dem Frühstück.
Auf keinen Fall kommen mir Nachrichten ins Haus oder
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