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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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so weitermachte … Doch es folgte keine weitere Frage. Anscheinend hatte der Besitzer der groben, herrischen Stimme seine Neugier vollends befriedigt.
    Was aber den Halbwüchsigen anging, so machte der eine unsichere Bewegung, schaute sich wohl zu dem Älteren um und widmete sich dann wieder Ar-Scharlachi.
    »Und warum bist du hier?«
    »Ich habe Fliegen die überzähligen Beine ausgerissen.«
    »Antworte, wenn man dich fragt!« Die etwas spröde Stimme des Jungen wurde plötzlich böse, gefährlich.
    Ar-Scharlachi stützte sich auf einen Ellbogen, erhob sich halb vom Teppich und schaute genauer hin. Der vom Mondlicht weiße Teil der einwärtsgekrümmten Mauer warf einen schwachen Widerschein auf sein junges Gegenüber. Ein mittelgroßer Bursche, wohl an die siebzehn. Anscheinend leicht zur Fülle neigend, wie ein Städter … Aber wie ein Nomade gekleidet: Kittel, Kopftuch, das Gesicht verschleiert …
    »Und wer bist du, dass du so fragen darfst? Der Richter?«
    Der Halbwüchsige rückte ein Stück von ihm ab – und schien vor Zorn zu ersticken. Seltsam … Will er gern den Tollkühnen spielen? In der Grube! Wenn hier irgendwas passiert, kommen doch gleich die Wachen gelaufen, und dann kann dir auch dein Kumpel mit der tiefen Stimme nicht helfen … Und dann melden sie es noch dem Richter …
    Der Halbwüchsige hatte sich unterdessen gefangen, atmete tief durch, hatte wohl sogar bis fünf gezählt. Dann wandte er sich wieder an Ar-Scharlachi. »Ist schon gut, keine Aufregung!«, flüsterte er vertraulich. »Entschuldige schon, ist mir so rausgerutscht … Da sitzen wir in derselben Grube, und du gibst immer noch den Gebieter! Wie viel haben sie dir aufgebrummt?«
    »Die Nacht werde ich hier sitzen«, antwortete Ar-Scharlachi seufzend, »und morgen nach Sonnenuntergang muss ich von hier verschwunden sein …«
    »Aha …«, sagte der Halbwüchsige verständnisvoll. »Also auch wegen einer Kleinigkeit … wie wir …«
    Irgendwo aus der Dunkelheit schnaubte der ältere Gefangene verächtlich. Was er damit sagen wollte, war unklar.
    »Das heißt, sie werden dich einfach laufen lassen und fertig?«, vergewisserte sich der Halbwüchsige.
    »Anscheinend …«
    Der Halbwüchsige schwieg und verschwand ins Dunkel, ohne noch ein Wort zu sagen. Er bewegte sich immer noch gebückt. Zwei Stimmen begannen unverständlich zu flüstern. Ar-Scharlachi konnte nur einzelne Worte erkennen:
    »… doch nicht absichtlich … in dieselbe Grube …«
    »… untergeschoben …«
    »… verschlafen … sie konnten einfach …«
    »… das Schicksal ändern …?«
    Als er das Wort »Schicksal« hörte, wunderte sich Ar-Scharlachi. Im Gespräch zweier Landstreicher, die man bis zum Morgen in den Schacht gesteckt hatte, klangen derlei Worte etwas unangebracht. Aber ihm waren die Lider schon wieder zugefallen, sodass er nicht weiter auf ihr Flüstern achtete …
    »Rechtmäßig verurteilter Ar-Scharlachi!«
    Ar-Scharlachi setzte sich mit einem Ruck auf der Matte auf. Es war noch dunkel. Das Morgengrauen machte gerade die ersten Schritte in die kleine Oase. Der Mond, der auf die andere Hälfte des Himmels gewandert war, hob die Gestalten der drei Wächter aus der Dunkelheit am Rande des Schachtes, der jetzt fast bis obenhin mit Schwärze angefüllt war.
    »Im Namen des Herrschers gibt dich der Richter aus der Grube frei und lässt dir von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Zeit, dass du, zu Recht verurteilter Ar-Scharlachi, die Grenzen dieses Schattens verlässt. Solltest du aber zufällig oder vorsätzlich nach Sonnenuntergang innerhalb der Grenzen dieses Schattens verweilen, so wisse, dass der Richter dich dann im Namen des Herrschers zum Dienst in einer Staatsgaleere bis Sibra und zurück verurteilt.« Der Ausrufer machte die vorgesehene Pause und befahl leise: »Das Seil!«
    Ein weißes, glattes Seil fiel herab. (Wenigstens einen Knoten hätten sie machen können!) Ar-Scharlachi war schon aufgestanden und bückte sich, um den Teppich zusammenzurollen, doch da wurde er von beiden Seiten hart bei den Ellbogen gepackt und mit dem Gesicht in den Sand gedrückt, dass ihm fast das Genick brach. Die Augen konnte er zum Glück rechtzeitig schließen, und die Nasenlöcher schützte der Schleier. Eine kräftige Männerhand griff unter das Kopftuch, riss ihn an den Haaren, und Ar-Scharlachi fühlte, wie ein Würgestrick um seinen Hals geschlungen wurde. Er zappelte, wurde aber in den Sand gedrückt; dann nahm das auf ihm lastende Gewicht ab, aber die

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