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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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nur ein Wort sagst, beiß ich dich tot!«, flüsterte sie. »Du bist er, ist das klar? Die Nacktfressen können uns nur an der Statur unterscheiden …«
    Ar-Scharlachi sprach unwillkürlich lauter: »Das ist Ar-Mauras Schatten! Und der Richter ist keine Nacktfresse. Außerdem kennt er mich!«
    Aliyat stockte und warf ihm einen Blick voller Hass, Unglauben und Furcht zu. »Das lügst du!«
    »Ruhe da!«, schrie der Anführer der Wache sie an. »Schweigend gehen!«
    Und sie gingen schweigend. Sie überquerten den kleinen Marktplatz, der praktisch leer war, wo an der Stelle des zerstörten kleinen Tempels ein weiterer nacktfressiger Götze von anderthalbfacher Lebensgröße das Kinn hochreckte. Aus den Augenwinkeln erblickte Ar-Scharlachi den Eigner der Galeere, mit der er in Ar-Mauras Schatten eingetroffen war. Der Handel mit den aus Harwa herbeigeschafften Seidenstoffen schien miserabel zu gehen. Wie konnte es auch anders sein! Der Palmenweg verarmte, und nach Kimir konnte man die Seide nicht bringen – sie hielten einen an der Grenze an und beschlagnahmten die Ware …
    Als sie die Prozession erblickten, kam Unruhe in die Kaufleute, sie standen auf, durch die Reihen lief wie ein Rascheln der Name Scharlach, und der Herr der Galeere erstarrte, als er in dem gefesselten Räuber seinen Mistkäfer erkannte. Was er dabei dachte, war schwer zu sagen. Wahrscheinlich konnte er weiter nichts tun, als stockend Ulqar (und vielleicht auch den vier Kamelen, wer weiß!) für die wahrlich wundersame Rettung vor dem beinahe eingetretenen Unglück zu danken. Das war schließlich kein Spaß – zwei Tage mit keinem anderen als Scharlach zu verbringen, der sich für einen gewöhnlichen Schiffsläufer ausgegeben hatte!
    »Du?!«, stöhnte der ehrwürdige Ar-Maura, außerstande, seinen hervorquellenden Augen zu trauen. Es schien nicht viel zu fehlen, dass den Ehrwürdigen der Schlag träfe. »Und … und wo …?«
    Mit übermenschlicher Anstrengung fand der Richter doch noch seine Fassung wieder und setzte sich vorsichtig auf den hohen geschnitzten Stuhl. Er schwieg und betrachtete den Gefangenen voller Furcht.
    »Den Anführer der ersten Wache«, sagte er schließlich tonlos.
    »Der ist jetzt … äh-hm …«, begann der Sekretär.
    »Ich weiß. Wecken und herbringen.«
    In dem kleinen Hof kam leichte Unruhe auf. Mit einer schwachen Handbewegung winkte der ehrwürdige Ar-Maura den Gefangenen zu sich heran. Ar-Scharlachi ging auf den Richter zu, und der Strick straffte sich.
    »Ich bring dich um«, warnte ihn Aliyat leise.
    Ohne sie zu beachten, machte Ar-Scharlachi noch einen Schritt und zog die Frau hinter sich her.
    »Weißt du, nachts haben sie zu mir zwei in die Grube gesetzt«, begann er hastig. »Die hier und …«
    In diesem Augenblick warf Aliyat den Kopf herum und den Schleier ab; sie stürzte sich auf Ar-Scharlachi, wollte ihm offensichtlich die Zähne in die Kehle schlagen. Doch die Wächter kannten sich aus. Die Seilschlingen rissen die beiden Gefangenen auseinander, wobei sie beide fast erstickten.
    Der ehrwürdige Ar-Maura saß reglos da. Die abgehackten Worte Ar-Scharlachis hatten den Richter derart verblüfft, dass er das kurze Handgemenge, das zu seinen Füßen stattfand, anscheinend gar nicht bemerkte. Schließlich wandte er sich langsam zu dem erschrocken blinzelnden Sekretär um.
    »Den Hafen schließen!«, bellte der Richter so schrecklich, dass der junge Mann zurückfuhr. »Alle Galeeren und Segelschiffe durchsuchen! Alle, die heute Morgen angeheuert haben – herbringen!« Der Ehrwürdige verstummte und betrachtete angewidert die sich zu seinen Füßen windende, halb erstickte Aliyat. »Diese Kobra – abtrennen und einschließen!«
    Und sogleich liefen alle hektisch durcheinander, klirrten mit den Waffen. Hustend und sich den Hals haltend, richtete sich Ar-Scharlachi von den flachen feuchten Steinen auf, mit denen der Gerichtshof gepflastert war. Aliyat wurde ins Haus abgeführt.
    »Rede«, befahl der Richter mit dumpfer Stimme. Irgendwie brachte es Ar-Scharlachi fertig, während er sich die fast zerdrückte Kehle rieb, dem Richter heiser seine Geschichte zu erzählen. Er hielt es allerdings für angebracht, einige Einzelheiten intimer Art zu verschweigen, und beschränkte sich auf die Erklärung, dass die bösartige Räuberin Aliyat ihn bis zum Morgengrauen in der Würgeschlinge gehalten hatte.
    Die dichten, grau melierten Brauen des Richters regten sich drohend. »Der Sohn eines Gebieters!«, sagte er heiser

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