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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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gefallen. Zudem sah es im morgendlichen Zwielicht so aus, als betrachte ihn die Unbekannte spöttisch, fast verächtlich.
    Und mit Entsetzen erfasste Ar-Scharlachi endlich, was geschehen war. Während er sich hier mit dieser tückischen Dirne herumwälzte, die geschickt einen heftigen Anfall von Leidenschaft vorgespielt hatte, war ihr Komplize schon entkommen, noch dazu unter seinem, Ar-Scharlachis, Namen.
    »Ach, du Biest!«, stöhnte er verwundert.
    Ohne zu erschrecken, kam sie auf ihn zu. »Wenn du die Wächter rufst, bring ich dich um«, warnte sie ihn leise und sehr ernst.
    Es mochte durchaus sein, dass der Kampf seine Fortsetzung gefunden hätte, und zwar keineswegs eine erotische, doch da ertönte von oben her wieder die überhebliche Stimme des Ausrufers: »Das gerechte Urteil erwartende Aliyat!«
    Beide blickten nach oben. Am Rande des Schachts waren drei Gestalten erschienen. Kalt schimmerten die flachen Paradeschilde.
    »Im Namen des Herrschers ist dir bestimmt, vor dem Richter zu erscheinen, um einen Teil des gerechten Urteils zu hören.«
    Ein Seilende entrollte sich. Aliyat, schoss es Ar-Scharlachi durch den Kopf. Den Namen habe ich doch schon gehört … Aliyat …
    Unterdessen hatte die Würgerin das herabgelassene Seilende erfasst, dann wandte sie sich unvermittelt ihm zu, und in ihren dunklen Augen sah Ar-Scharlachi abermals Spott und Triumph.
    »Dummkopf …«, sagte sie beinahe zärtlich. Sie packte das Seil fest und kletterte ziemlich geschickt dem grauen Himmel entgegen. Ar-Scharlachi schaute fassungslos zu, wie sie den oberen Rand des Mauerwerks erreichte, hinauskletterte und sogleich von den kräftigen Händen der Wächter ergriffen wurde.
    »He!«, rief er, endlich zur Besinnung gekommen. »Hört mal! Mich solltet ihr …«
    »Schweig!«, donnerte es zornig von oben herab. »Schweig und höre den Ausrufer!«
    Ar-Scharlachi zuckte zusammen und verstummte. Mit den Wächtern war nicht gut Kirschen essen. Der Ausrufer machte eine Pause und verkündete feierlicher als je zuvor: »Das gerechte Urteil erwartender Scharlach! Im Namen des Herrschers ist dir bestimmt, vor dem Richter zu erscheinen, um einen Teil des gerechten Urteils zu hören.«

4
    Die Flucht, die es nicht gab
    A liyat … Ja doch! Natürlich, er hatte es gehört! »Dass dich doch gleich Scharlach mitsamt Aliyat …« Wer hatte das gesagt? Anscheinend jemand von den Schiffsgängern von links … Genau, genau … Und der Schiffseigner hatte so getan, als habe er es nicht verstanden … Das also war Aliyat?
    Man band ihnen die Hände mit ein und demselben Strick und warf beiden eine Schlinge über den Hals. Eskortiert von einer Abteilung von acht Wächtern, gingen die Gefangenen durch krumme, von Lehmwänden eingeengte Gassen. Hinter den vergitterten Sichtluken der zahlreichen schmalen Türen waren weiße Schleier zu sehen, auch die unverhüllten braun gebrannten Gesichter von Frauen und Kindern. Wie auch immer die Bewohner der kleinen Oase erfahren hatten, dass man die Räuber gerade morgens zum Richter führen würde – einen Blick auf den schrecklichen Scharlach werfen wollten alle.
    In den über Nacht ausgetrockneten Wassergräben wurde das plätschernde Wasser vom Staub aufgesogen. Die Schieber waren nur sparsam geöffnet worden; Regen hatte es in diesem Jahr so gut wie nicht gegeben, und der wandernde See Chaïlwe, der die ganze Oase speiste, trocknete zusehends aus.
    »Und was hast du nun damit erreicht?«, zischte Ar-Scharlachi kaum hörbar, während er über den weichen gelblichen Staub schritt. »Sie werden ihn ja doch erwischen …«
    Aliyat warf ihm über den Schleier hinweg einen scheelen, verächtlichen Blick aus einem dunklen Auge zu. »Wen?«, flüsterte sie. »Ist denn jemand geflohen?«
    »Na, du Dumme!«, knurrte Ar-Scharlachi leise. »Glaubst du denn wirklich, sie werden mich für deinen Räuber halten?«
    »Haben sie doch schon …«
    Für einen unbeteiligten Beobachter musste die Prozession recht komisch aussehen. Der Strick, der die Gefangenen miteinander verband, war sehr kurz, und in Anbetracht der Tatsache, dass Ar-Scharlachi immerzu die Schritte beschleunigen wollte, während Aliyat ihn vorsätzlich bremste, stolperten beide immer wieder.
    »Das werde ich dir noch heimzahlen, du Echse!« Ar-Scharlachi war atemlos vor Zorn. »Lass uns nur erst vor den Richter kommen …«
    Nach der Bewegung des Schleiers zu urteilen zog Aliyat die Oberlippe hoch und bleckte die Zähne wie ein Tier. »Wenn du dem Richter auch

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