Unter dem Räubermond
Edikt des Herrschers gewesen, hätte Chaïlsa Scharlach ohne zu zögern an einer Rah aufknüpfen lassen; so aber, zu militärischer Ordnung erzogen, begnügte er sich damit, den Schuft in Ketten in den Laderaum des Salamander bringen zu lassen.
Ein paar Tage später aber holte sie ein Postschiff aus Harwa mit einem an den Ehrwürdigen persönlich adressierten Edikt ein. Chaïlsa sollte sich von Ritaus Flotte trennen, sich zu Ar-Kahirabas Schatten begeben und dort auf den Zweimaster Samum warten, der unter dem Kommando des Karawanenführers (der Ehrwürdige bekam Stielaugen) Scharlach fuhr. Er sollte ihn in allen Ehren nach Harwa begleiten, vor allem aber ihn heil und unversehrt lassen.
Während er das Pergament mit der Unterschrift des Herrschers langsam zusammenrollte, fühlte der ehrwürdige Chaïlsa, dass nur noch ein solches Edikt fehlte, und er würde den Verstand verlieren.
Proviant war am Meer nicht zu beschaffen, daher gedachte Ar-Scharlachi, sich sofort bei Tagesanbruch auf den Rückweg zu machen. Am Morgen wurde ihm jedoch eine unangenehme Neuigkeit gemeldet. Ein gewisser Lerka (Ar-Scharlachi konnte sich nicht einmal erinnern, von welchem Räuber die Rede war) war nachts – entweder, weil er zu viel getrunken hatte, oder aus Tollkühnheit, vielleicht auch, um unsterblich zu werden – ins Wasser gegangen, wo ihn höchstwahrscheinlich eine ungewöhnlich hohe Welle überspült hatte. Der Körper war auf den nassen Sand geworfen worden, doch die Wachposten hatten ihn zunächst für eine Ansammlung von Schaum gehalten und erst im Morgengrauen erfasst, was geschehen war.
Als sie Hände und Gesicht der Wasserleiche, die blau angelaufen waren, anschauten, schüttelten die Räuber die Köpfe. Im Meer zu ertrinken! Ausgerechnet …
Nachdem sie den Toten im nassen Sand begraben und eine Lanze mit weißem Tuch auf dem Grab aufgepflanzt hatten, kehrten sie aufs Schiff zurück und redeten lange über das Ereignis. Der Samum kroch wieder auf die rauchenden Trümmer und die rußbedeckten Rohre zu.
»Was meinst du, sollen wir es Ulqar sagen oder lieber nicht?«, fragte Ar-Scharlachi besorgt.
»Was?«
»Na, das von diesem Lerka, der ertrunken ist. Ist ins Meer gegangen – und gestorben! Verstehst du, was das bedeutet?«
»Jaa …«, sagte Aliyat nach angestrengter Überlegung unsicher. »Sag lieber nichts davon …«
Als er den gewundenen Sandstreifen zwischen den Felsbarrieren hinter sich gelassen hatte, setzte der Samum Segel und glitt vor dem günstigen Tagwind schwankend über die Dünen, an den silbrigen Rohren entlang nach Norden. Am Himmel hinter dem Heck zerfloss der durchscheinend schwarze Schleier.
Ulqar meldete sich erst gegen Abend. Seine schrille, abgehackte Stimme kam kaum durch das Rauschen und Knistern der Störgeräusche. Wie immer waren die Fragen des Herrschers etwas überraschend.
»Das heißt, sie haben am Meer gelebt?« Ulqar zögerte. »Am Meer gelebt, ohne jemals ins Wasser einzutauchen? Was denkst du, ist das möglich?«
»Ich glaube nicht, Herrscher.«
»Und trotzdem kann man sie ohne Weiteres töten … Ich weiß das genau, und du jetzt auch. Also hilft auch das Meerwasser nicht gegen gewaltsamen Tod … Und du selbst? Bist du ins Meer gegangen?«
»Nur bis zu den Knien. Als wir geschöpft haben.«
»Und was fühlst du jetzt?« In Ulqars Stimme klangen Hoffnung und Sorge.
»Nichts«, antwortete Ar-Scharlachi ehrlich. »Alles wie zuvor …«
»Und wie schmeckt es? Ich meine natürlich das Wasser …«
»Bitter-salzig. Trinken kann man es nicht.«
Ulqar verstummte, überlegte irgendetwas.
»Nun ja«, erklang schließlich aus unvorstellbarer Ferne schwach und klirrend seine Stimme. »Du hältst Wort. Ich auch. Das Edikt über die Schonung des Palmenwegs ist schon seit mehreren Tagen in Kraft. Wie lange brauchst du, um, sagen wir, zu Ar-Kahirabas Schatten zu kommen?«
Dass Ulqar den Trunkenen Schatten erwähnte, war mindestens seltsam. Diese Oase war nicht einmal auf der Karte verzeichnet. Ar-Scharlachi schätzte und sagte, es werde mindestens vier Tage dauern. Bei günstigem Wind, versteht sich.
»Dann machen wir es so«, sagte Ulqar. »Fahr geradewegs nach Ar-Kahiraba, und dort wird dich dein alter Freund erwarten, der Karawanenführer Chaïlsa. Ich ahne«, fügte der Herrscher mit seiner üblichen Ironie hinzu, »dass ihr einander nicht besonders liebt, aber neue Leute sollte man in diese Sache besser nicht einweihen …«
Entgegen Aliyats Erwartungen legte sich die
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