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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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Sandebene lief schräg abwärts zu einem schwarzen Rußstreifen, hinter dem träge eine schmutzig rote Flamme loderte, die sich über Tausende von Schritten erstreckte. Hier und da ragten riesige schwarze Bauten hervor, zertrümmert, fast bis zum Grund niedergebrannt.
    Der Anblick war derart schrecklich und majestätisch, dass lange Zeit niemand auf den Gedanken kam, über die Flammen hinwegzublicken und durch die Schwaden schweren Rauchs hindurch die graugrüne Wüste zu betrachten, die sich bis zum Horizont erstreckte, eine seltsame Wüste mit beweglichen Dünen, auf deren Kämmen weißer Schaum brodelte …
    »Wo? Das da?«, fragte jemand in der Nähe. »Das ist das Meer?!«
    In der Stimme schwangen hörbar Enttäuschung und sogar eine gewisse Kränkung. In der Tat, solch eine Furcht durchzumachen, sein eigenes Ich zu zerbrechen, den Anführer für seinen Starrsinn und seine selbstmörderische Kühnheit zu hassen – und das alles nur, um eine durch den Rauch hindurchscheinende graue, sich bewegende Ebene zu sehen? Wahrlich, der am Ufer lodernde Brand sah viel bedrohlicher aus …
    Nein, dass es tatsächlich das Meer war, bezweifelte niemand. Viele hatten es in Trugbildern gesehen, aber in den Trugbildern war es mit seiner Lautlosigkeit und seiner gleichgültigen Majestät unheimlich, wirklich als Totenreich erschienen. Hier aber …
    »Durchweg eine Oase …«, sagte Aliyat mit nervösem Lachen. »So wie Harwa …«
    Sie erntete erschrockene Blicke. Ar-Scharlachi schaute ebenfalls verwirrt drein, krümmte die Schultern und antwortete nicht. Die Stimmen ringsum wurden allmählich lauter, selbstsicherer. Na, das Meer … Ja und? Wir haben unterwegs solche Dinge gesehen, dass wir auch kein Meer fürchten. Schon allein die eisernen Vögel!
    »Und was nun weiter?« Die Stimme des Räubers klang unverhohlen gereizt.
    Ar-Scharlachi blickte um sich. Links reichten die Flammen bis an die Felsen, schleuderten Wolken schweren schwarzen Rauches in den Morgenhimmel. Rechts war das Ufer verhältnismäßig frei, doch dort versperrten die Rohre den Weg, die freilich nicht mehr silbrig, sondern rußig waren.
    »Eine Leiter an die Bordwand«, befahl Ar-Scharlachi halblaut, und nachdem er die Strickleiter hinabgestiegen war, ging er den flachen Hang hinunter. Nach einigem Zögern wählte er eine Stelle aus, wo die Rohre fast den Sand erreichten, und wandte sich zum Samum um. »Wir schütten eine Rampe auf. Dann fahren wir auf die andere Seite.«
    Mit der Rampe hatten sie den ganzen Vormittag über zu tun. Die bedrohlich rote Sonne ging auf, verlor sich in den Schlieren schwarzen Rauches. Vom Meer her wehte ein schwacher Wind, das Atmen wurde schwer. Endlich kroch der Samum langsam über die Rohre und fuhr am Ufer entlang. Das Meer begann zu glänzen, zerfiel in farbige Flecken, die selbst durch den in der Luft wirbelnden Ruß hindurch hell wirkten. Zum Ufer hin grünlich, wurden sie weiter draußen tiefblau, und direkt am Horizont zog sich ein zart türkisfarbener Streifen entlang. Die Mannschaft war wieder still geworden. Das Meer war also so riesengroß, dass selbst das Feuer und der Rauch im Vergleich dazu winzig klein wirkten. Was sollte man da erst vom Samum sagen oder gar von sich selbst!
    Ar-Scharlachi hatte schon mehrmals versucht, Ulqar zu rufen, doch Kahirabs Metallschildkröte gab nur das übliche Rauschen, Knacken und Knistern von sich. Einmal glaubte er zwar die Stimme des Herrschers zu hören, die dieses Rauschen zu durchdringen versuchte, doch er hatte sich wohl getäuscht.
    Der Samum kam mehrmals an verkohlten Resten einer Art kleiner Schiffe aus Metall vorüber, die keine Masten und sehr kleine Räder hatten, meistens völlig ausgebrannt. Menschliche Körper waren nirgends zu sehen, und das gab zu denken – womöglich waren tatsächlich alle Getöteten ins Meer gekommen? Und nach mindestens anderthalbtausend Schritten Fahrt passierte der Samum den in den Sand gerammten Schwanz eines eisernen Vogels. Bald wurde der Sand, der raschelnd unter die beschmierten Räder floss, sauber, die Geräusche des Brandes blieben hinter dem Heck zurück, man hörte nur das Seufzen und Zischen der aufs Ufer laufenden Wellen.
    Ar-Scharlachi befahl, sich weiter links zu halten, und das Schiff näherte sich allmählich der Brandungslinie. Sie machten halt, als bis zu den Wellen nur noch ein paar Dutzend Schritt blieben. Mit dem Anführer zusammen den Samum zu verlassen wagte nur Aliyat, und auch sie ging nur den halben Weg, dann bekam

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