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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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Ausgucks gleich bei Sonnenaufgang bemerkt, und auf breiter Front entfaltet, jagte die Flotte Sibras die beiden Räuberschiffe in Richtung auf Ar-Naus Schatten zu. In dieselbe Richtung, in der es noch nie einem Räuber gelungen war, der Verfolgung zu entgehen.
    In der zweiten Tageshälfte wurde klar, dass Scharlachs Lage hoffnungslos war. Im hinteren Sehschlitz ragten den ganzen Horizont entlang krumme Staubpilze auf, und das hieß, wenn sie den Kurs änderten, würden sie unbedingt wenn nicht vom linken, dann eben vom rechten Flügel der Verfolger eingeholt werden. Es blieb nur, das Schiff den ganzen Tag über vorwärtszujagen und sich am Abend doch zu ergeben, denn voraus lagen die Sande, die auf der Karte mit der weißen Farbe des Todes markiert waren. Die nickenden Hämmer.
    Ar-Scharlachi schaute resigniert auf die vor ihnen springende und sich neigende Wüste, und in den Ohren klang ihm die beim Einatmen seufzende Stimme des schwarzen Zauberers: »Es sind andere gekommen und werden euch von überall vertreiben …«
    »Die, vor denen sich der Stahl verneigt, rühren uns nicht an …«
    Manchmal war ihm, als flüstere Mbanga hier im Deckhaus: »Es sind andere gekommen …«
    »Euch verbrennen sie … Aber nicht immer …«
    »Du gehst dorthin …?«
    »Nein«, presste Ar-Scharlachi durch die Zähne. »Ich gehe nicht …«
    Die Rudergänger schauten ihn erschrocken an, sagten aber nichts.
    »Kurs wie gehabt«, warf er hin und beschloss nach einigem Zögern, nicht auf das glühend heiße Deck hinauszugehen. Er ging durch die Luke die kurze, unter den Füßen ruckende Treppe hinab und durch den schwankenden Korridor, sich an den Wänden abstützend, zur Kajüte des Karawanenführers, wohin er nachts auf Händen die betrunkene Aliyat getragen hatte.
    Als Ar-Scharlachi eintrat, saß sie schon auf dem niedrigen Bett und rieb sich schwer grübelnd die Stirn.
    »Und, wie ist’s?«, fragte er finster.
    Aliyat nahm die Hand von der Stirn und schaute den Ankömmling an. Ein schöner Anblick, nichts zu sagen … Abwesende, von Nässe trübe Augen, die Unterlippe hing herab … Und selber?, wies sich Ar-Scharlachi sofort in Gedanken zurecht. Kommt so was bei dir nicht vor?
    »Gib Wasser«, bat sie.
    Nun, das war schon besser. Ehrlich gesagt, er hatte befürchtet, Aliyat würde wieder Wein verlangen. Er zog im Schrank einen silbernen dünnwandigen Krug aus der Halterung, nahm eine Schale und goss sie bis zum Rand voll, bemüht, nichts zu verschütten.
    Aliyat stürzte das Wasser hinunter und hielt ihm wieder die Schale hin: »Mehr …«
    Er goss wieder ein.
    Diesmal trank Aliyat langsam, mit Pausen. Als sie alles bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken hatte, starrte sie stumpfsinnig auf den Boden der Schale. Ihre Lider zitterten, begannen sich zu schließen, und Ar-Scharlachi meinte schon, Aliyat werde wieder aufs Bett fallen und einschlafen, als sie plötzlich den Kopf schüttelte und ihn mit besorgtem Unverständnis anstarrte.
    »Hör mal«, sagte sie mit belegter Stimme. »Habe ich das geträumt? Dass dem Jungen die Kehle durchgeschnitten wurde?«
    »Nein«, sagte er tonlos und wandte den Blick ab. »Hast du nicht.«
    Er wandte sich dem Schrank zu, stellte den Krug an seinen Platz, zog auf dem silbernen Hals die Halteschlaufe fest, schloss die Tür und wandte sich um.
    Aliyat war immer noch dabei, das Gehörte zu verarbeiten.
    »Das heißt … du hast ihn …?«, fragte sie schließlich ungläubig.
    »Nein. Er selbst.«
    »Ach …« Aliyat nickte. Dann lachte sie bitter auf. »Da hat er Angst vor dir gekriegt«, teilte sie ihm mit. »Der kleine Dummkopf …«
    »Willst du noch Wasser?«
    Sie schüttelte verneinend den Kopf. »Was ist hier bei uns los?«
    »Sie jagen uns«, antwortete er und wunderte sich selbst über seinen Gleichmut. »Wie immer …«
    »Werde ich gebraucht?«
    »Nein, ich glaube nicht … Ruh dich erst mal aus …«
    Er bückte sich, ging aus der Kajüte und schloss die Tür. Er hörte, wie sich Aliyat mit einem leisen, klagenden Stöhnen auf dem niedrigen Bett ausstreckte …
    Ja, was war denn das? Ar-Scharlachi griff sich an die schmer zende, pulsierende Schläfe. Wann hatten sie ihn vor Ar-Maura geführt? Wann war das gewesen? Vor rund fünfzehn Tagen … Das heißt, noch vor fünfzehn Tagen hatte er im Kaffeehaus herumgealbert, hatte einer gesetzwidrigen Fliege Beine ausgerissen, Verslein versprüht – und unversehens … Was war das für ein Wirbelsturm, der ihn im Alter von neunundzwanzig Jahren

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