Unter dem Räubermond
verstummte, blickte verständnislos zur Tür, zu dem Weinfleck auf dem Teppich, der mit dem Boden zuoberst liegenden Schale … Obwohl … Aliyat war ja eine Frau. Nach den Bräuchen des Palmenweges hatte sie ihr Gesicht überhaupt nicht zu verhüllen … Ach ja! Ar-Scharlachi zog eilig den eigenen Schleier über die Nase und befestigte ihn hinterm Ohr. Er schluckte, schaute in den Krug. Nein-nein! Für heute war es wohl genug. Keinen Tropfen. Wirklich, es musste doch an Bord wenigstens jemand nüchtern sein!
Gegen Abend begannen die Räuber an Bord einzutreffen, die sich in der Stadt vergnügt hatten. Wie zu erwarten war keiner darunter, der sicher auf den Füßen stand. Vom Weißen Skorpion her ertönten schon anhaltende Schimpfkanonaden – mit Übung und Geschick brachte Lako seine Mannschaft auf Vordermann. Ar-Scharlachi hatte es aus Mangel an Erfahrung weitaus schwerer. Ehrlich gesagt, konnte er kein Schiff befehligen. Die Lösung fand sich von selbst.
Da mit Aitscha, den man eben erst aus den Tiefen eines Freudenhauses geholt hatte, nichts anzufangen war, befahl Ar-Scharlachi dem zweiten Gehilfen Ard-Gew, den Samum koste es, was es wolle, zur Ausfahrt in die Wüste bereit zu machen; er selbst folgte ihm überall auf dem Fuße und brauchte sich keine besondere Mühe zu geben, finster dreinzuschauen. Der Anblick des mürrischen Scharlach ernüchterte die Räuber eine Zeit lang, und sie folgten den Anweisungen des großnasigen, untersetzten Ard-Gew ohne allzu viele Widerworte.
Nachdem er mit übermenschlicher Anstrengung den unzurechnungsfähigen Teil der Mannschaft in die Hängematten gelegt und allen anderen reihum das wundertätige Fläschchen aus der Kajüte des Karawanenführers unter die Nase gehalten hatte, fühlte sich Ar-Scharlachi auf den Tod erschöpft. Es war an der Zeit, ins eigene Bett zu finden, sich hinfallen zu lassen und einfach liegen zu bleiben, zuvor noch die Sanduhr in der Messingfassung umzudrehen.
»Also, mach allein weiter«, sagte er heiser zu Ard-Gew, der bei diesen Worten die dichten, zusammengewachsenen Brauen kläglich verzog. »Wenn was ist, ruf mich. Wenn sie besonders stark Betrunkene bringen – auch …«
Als er schon fast bei seiner Kajüte war, stieß Ar-Scharlachi auf den jungen großäugigen Räuber, der zwei versiegelte Krüge Wein irgendwohin trug. Es war derselbe junge Mann, der morgens Ar-Scharlachis Kajüte aufräumte und den er immer wieder nach seinem Namen zu fragen vergaß. Diensteifrig und ständig besorgt, war der Räuber immerzu mit allen möglichen kleinen Aufträgen unterwegs, und die ganze Zeit über hatte man den Verdacht, dass ihn die anderen auf Fahrt anstelle einer Frau benutzten.
»Wohin?«, fragte Ar-Scharlachi drohend. Der Weinverschlag war auf seinen Befehl hin verschlossen.
Der Räuber erstarrte und hätte beinahe die Krüge fallen lassen.
»Aliyat«, brachte er schließlich heraus.
»Aliyat …?« Ar-Scharlachi runzelte die Stirn und schnaufte unzufrieden. Vielleicht war es so am besten … Hauptsache, sie kam nicht aus ihrer Kajüte. Und wenn sie dort ein bisschen schlief, würde sie sich wohl auch etwas beruhigen …
»Schön, bring’s ihr«, erlaubte er schließlich. »Aber warte … Warum hast du selber getrunken?«
Der Räuber riss die großen, ausdrucksvollen Augen auf und schüttelte beide Krüge heftig.
»Sie hat mich gezwungen«, beklagte er sich mit weinerlicher Stimme.
»Schön, geh weiter!« Ar-Scharlachi winkte resigniert ab. »Aber selber – keinen Tropfen mehr, verstanden? Sag ihr, ich hab’s verboten …«
Mit diesen Worten ging er in seine Kajüte, warf sich mit Schwung auf das niedrige Bett und drehte die Sanduhr um.
»›Ich hab’s verboten‹«, knurrte er böse und äffte sich selber nach. Als ob sie ihm tatsächlich gehorchen würde!
Ar-Scharlachi blieb ziemlich lange ungestört. Er hatte schon zum dritten Mal die Sanduhr umgedreht, als Ard-Gew an die Tür klopfte. »Lako ist hier an Bord«, teilte er mit. »Er fragt, wie die Dinge stehen.«
»Ah, Lako!« Augenblicks zu sich gekommen, setzte sich Ar-Scharlachi im Bett auf. »Ruf ihn her … Übrigens, wie stehen die Dinge denn?«
Ard-Gew bewegte trübsinnig die dichten Brauen … Doch seltsamerweise hatte Lako an Bord des Samum keine besondere Unordnung vorgefunden. Eine einzige Schimpfkanonade ertönte, als ihm ein ungeschickt versteckter Krug mit Wein unter die Augen kam, der unverzüglich auf dem Kopf des Besitzers zerschlagen wurde. Es lag anscheinend
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