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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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verschwinden, blickte er auf. Der Räuber schaute den Anführer sichtlich ungläubig an. »Was ist, hast du nicht verstanden?«
    Aitscha nickte krampfhaft und schloss langsam die Tür. Man hörte nur das Pfeifen und Prasseln der Sandkörner in den aus Palmfasern geflochtenen Segeln und das Stöhnen und Knarren der hölzernen Verbindungsteile des Schiffes. Im Deckhaus schwiegen alle und schauten Ar-Scharlachi an.
    »Wir werden bis zur Dunkelheit weiterfahren«, sagte er unwillig. »Und dann können wir vielleicht irgendwie durchschlüpfen … Der Mond nimmt ab …«
    »Bis zur Dunkelheit!«, explodierte Aliyat. »Da treffen wir gerade auf die nickenden Hämmer!«
    »Der Skorpion dreht ab«, meldete einer der Rudergänger.
    Die weiße einmastige Galeere schwenkte langsam nach links.
    »Sie schaffen es nicht …«, sagte der zweite Rudergänger bedauernd. »Sie werden sie abfangen … Dabei hat er allein schon in Kimir zwei Todesurteile … Und erst in Harwa …«
    Die Tür wurde wieder geöffnet. »Die Leute weigern sich weiterzufahren!«, meldete Aitscha erschrocken. »Sie sagen, dort sind die nickenden Hämmer …«
    »Wer weigert sich?«, fragte Ar-Scharlachi, ohne den Blick vom Sehschlitz zu wenden. »Alle?«
    »N-na … die meisten …«
    Der Wutanfall kam so plötzlich, dass Ar-Scharlachi nicht einmal mehr Müdigkeit spürte. »Sollen sie über Bord springen!«, stieß er hervor. »Wir fahren nicht schnell …«
    Wieder zögerte Aitscha, in der Hoffnung, der Anführer scherze. Doch der Anführer scherzte anscheinend nicht.
    »Was ist, hast du beschlossen, überhaupt nicht zu wenden?«, schrie Aliyat hysterisch auf.
    Ar-Scharlachi schwieg und blickte mit vorgekrümmten Schul tern auf die toten Sande der kleinen Dünen voraus. Dann wandte er sich endlich um. Seine Augen wirkten ganz krank.
    »Was meinst du«, fragte er leise, »was sie mit uns machen, wenn sie uns fassen? Für die Meuterei auf dem Samum , für Sibra …«
    »Aber dort sind doch die nickenden Hämmer!«, brachte sie mit Mühe hervor, während sie zurückwich.
    »Weißt du …«, sagte er kaum verständlich, die Stirn wie unter Schmerzen gerunzelt. »Der Zauberer sagt: nicht immer …«
    »Was ›nicht immer‹?«
    »Sie verbrennen einen nicht immer …«, erklärte Ar-Scharlachi tonlos.

21
    Wo sich der Stahl verneigt
    D ie wahnsinnige trüborange Sonne war unter den Horizont gesunken, die graue Dämmerung hereingebrochen. Die Staubpilze, die von den Rädern der Kriegsschiffe aufgewirbelt wurden, hatten sich gesetzt, der gelblich braune Streifen im Westen war sauber. Die Flotte Sibras hatte es nicht gewagt, Scharlach in die Entsetzen auslösenden Sande zu verfolgen.
    Über Bord gesprungen waren nur sechs. Die anderen hielt wohl alle derselbe einfache Gedanke zurück: Was voraus geschehen würde, wusste man nicht, hinten aber war gewiss nichts zu erhoffen … Man würde sie sicherlich in dem angekohlten und ausgeraubten Sibra vor Gericht stellen, sodass mit Gnade nicht zu rechnen war …
    Mit eingeholten Segeln und Muskelkraft arbeitete sich der Samum durch das verbotene Terrain. Wie Raureif traten die Sterne hervor, glänzte die schmale Mondsichel. Über der Wüste zog sich dunkler Nebel zusammen, Brocken von Finsternis stürzten von allen Seiten heran.
    »Vielleicht sollten wir doch wenden?«, sagte Aliyat leise und niedergedrückt. »Vielleicht haben sie es schon aufgegeben …«
    »Die Schiffe?«, fragte Ar-Scharlachi ebenso leise zurück. »Wohl kaum … Einmal haben sie uns schon entwischen lassen, ein zweites Mal wird man ihnen einfach nicht verzeihen … Sie werden also die ganze Nacht warten. Ich an ihrer Stelle würde auch noch Wachen zwischen den Schiffen aufstellen, dass nicht einmal eine Springmaus durchkommt …«
    »Was vergleichst du dich mit denen?«, entgegnete Aliyat unzufrieden und stockte, über die eigenen Worte erstaunt. Die allgemeine Verehrung für Ar-Scharlachi schien selbst sie angesteckt zu haben.
    Der Samum lief mit gelöschten Lichtern, orientierte sich an den Sternen. Auf Deck und auf beiden Masten starrten die Beobachter in die Dunkelheit, dass die Augen schmerzten, bereit, jeden Moment flüsternd Alarm zu schlagen. Doch die in spärliches Mondlicht getauchten Dünen waren leer. Voraus hing über dem am Bug geschnitzten Kamelhorn schwer der geschliffene Stern Alq-Ganeb oder, wie ihn die Eingeborenen nannten, N’Goba.
    »Seltsam …«, murmelte Ar-Scharlachi und entrollte in Gedanken die Karte. Nach seinen Berechnungen

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