Unter dem Räubermond
erfasst hatte? So viel konnte sich doch gar nicht innerhalb von fünfzehn Tagen ereignen!
Den letzten Satz stieß er flüsternd hervor, dann schluchzte er entkräftet auf und ließ sich – es sah ihn ja niemand – erschlaffen, lehnte sich mit dem Rücken an die Trennwand. So blieb er stehen, sammelte sich. Mit Aliyat war jetzt nicht viel anzufangen … Also musste er wieder ins Deckhaus …
Entschlossen stieß er sich mit der Schulter von der Wand ab, doch da schwankte der Samum besonders heftig. Von der Heckkammer her ertönte ein dumpfes, nicht allzu lautes Poltern.
Ar-Scharlachi runzelte die Stirn, ging durch den schmalen Korridor bis ans Ende und öffnete die Tür einen Spalt. Bei der Heckluke hatte sich jemand auf einem achtlos ausgerollten Teppich hingefläzt.
»He, aufstehen!«, blaffte Ar-Scharlachi wütend, und da der Trunkenbold nicht reagierte, stürzte er auf den Liegenden zu, wollte ihn mit einem Fußtritt wecken.
Er erfasste rechtzeitig, wen er vor sich hatte, und hielt inne. Ja, natürlich … Im Trubel der Verfolgungsjagd hatte man den jungen Räuber, der sich umgebracht hatte, einfach vergessen, hatte ihn bei der Heckluke liegen lassen, in einen Teppich eingerollt. Dann war der Samum über die Dünen geholpert und der Leichnam hin und her gerollt, bis er sich endgültig aus seinem Kokon gewickelt hatte.
Dummkopf, dachte Ar-Scharlachi hilflos, während er auf das eingesunkene gelbe Gesicht schaute, dem immer noch jenes irre Lächeln eingeprägt war.
Er hockte sich hin, legte dem Toten die Hände an die Seiten und begann ihn wieder in den Teppich zu rollen. Dann schob er die Riegel beiseite und zog angestrengt an dem Tau, das den Lukendeckel hob. Durch den Spalt fuhr ein sengender, mit vereinzelten Sandkörnern ins Gesicht stechender Wind herein. Er hätte den Leichnam natürlich mit den Händen von Bord schieben müssen, doch die Hände waren jetzt beschäftigt, also musste er mit dem Fuß treten.
»Möge dir der böse Mond gnädig sein …«, murmelte Ar-Scharlachi, während er das Tau nachließ und die schweren Holzriegel vorschob.
Es ging auf den Abend zu und auf den Tod. Ar-Scharlachi stand am vorderen Sehschlitz und umklammerte unnötig kräftig den unteren Rand, als sich im Fußboden die Falltür hob und eine finster dreinblickende Aliyat ins Deckhaus stieg. Nach den halb gesenkten schweren Lidern und dem raschen Atem zu urteilen, fühlte sie sich immer noch nicht gut. Schwei gend ging sie ums Steuerruder herum, stellte sich neben Ar-Scharlachi und betrachtete mit Mühe die schwankenden Sande.
Danach aber … Der erfahrene, eingefleischte Trunkenbold Ar-Scharlachi hatte schon des Öfteren gesehen, wie jemand vor Angst augenblicks nüchtern wurde. Doch er sah zum ersten Mal, dass jemand binnen Sekunden vom Kater geheilt wurde. Aliyat schreckte vom Sehschlitz zurück und fixierte ihn aus den dunklen, weit aufgerissenen Augen.
»Was tust du?«, sagte sie in einem schrecklichen Flüstern. »Wohin fährst du? Weißt du, was wir dort vor uns haben?«
Und abermals war Ar-Scharlachi bass erstaunt – über ihre Fähigkeit, auf den ersten Blick festzustellen, wo sie sich befanden und in welche Richtung sie unterwegs waren.
»Schau mal, was wir hinter uns haben«, presste er hervor, und Aliyat stürzte zum hinteren Sehschlitz. Sie erstarrte, während sie verzweifelt die Staubpilze zählte, die sich am verschwommenen Horizont erhoben.
»Wie steht der Wind?«, fragte sie kurz angebunden, ohne zurückzuschauen.
»Er frischt auf …«
»Schlecht …« Sie lehnte sich mit Fäusten und Stirn gegen die Blende aus dickem Glas und erstarrte wieder. Dann wandte sie sich langsam um. »Schade«, sagte sie und zog leicht die Brauen hoch. »Ich habe sie also doch nicht gekriegt …«
»Wen?«
Ar-Scharlachi erhielt keine Antwort, doch er hatte auch so schon verstanden, von wem die Rede war.
Die Tür, die auf Deck führte, wurde aufgerissen, und durch den Spalt erschien der Kopf Aitschas. »Lako macht sich bereit zur Wende!«, rief er. »Er fragt, was weiter geschehen soll.«
Alle wandten sich zum rechten Sehschlitz hin. In der Tat, der leicht zurückbleibende Weiße Skorpion hatte einen weißen Wimpel gehisst.
»Wenn wenden, dann sofort«, sagte Aliyat.
»Und was dann?«
Aliyat antwortete nicht. Aitscha wartete auf Befehle.
»Übermittle: Ich behalte den bisherigen Kurs bei«, sagte Ar-Scharlachi mit kraftloser Stimme wie ein Greis. Und als er sah, dass es Aitscha nicht eilig hatte zu
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