Unter dem Teebaum
flüsterte sie. Im Schein des untergehenden Mondes, der das Silber in Blei verwandelte, glitzerten ihre Tränen wie die letzten Diamanten.
»Wir sehen uns beim Frühstück.«
Mit diesen Worten wandte sie sich um und verschwand.
Ralph blieb ratlos und verwirrt zurück.
Am nächsten Morgen trafen sie sich in der Lobby. Ralph hatte die restliche Nacht wach gelegen und über Amber und ihr merkwürdiges Verhalten nachgedacht. Er war zu keinem Ergebnis gekommen, wusste nur, dass Amber etwas vor ihm verbarg. Etwas, das sie quälte und so stark war, dass sie bei Steve blieb und die Hölle auf Erden ertrug.
Sie musste ihre Gründe haben, dachte Ralph und beschloss, es ihr so leicht wie möglich zu machen.
Als er sie in der Lobby sah, rief er ihren Namen und winkte ihr gespielt fröhlich zu. »Mrs Emslie«, rief er durch die Halle. »Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen.«
Amber hätte am liebsten vor Erleichterung gejubelt. Sein Gesicht, mit dem er ihr nachgesehen hatte, hatte ihr wehgetan. Sie wusste, dass er sie nicht verstehen konnte. Und dieses Nichtverstehen, diese Hilflosigkeit, die damit verbunden war, schmerzte sie mehr als alles andere.
Nun aber wusste sie, dass er ihr Verhalten akzeptiert hatte und ihr helfen wollte. Dafür war sie ihm dankbar. Lächelnd drehte sie sich um und erwiderte seinen Gruß. »Die letzte Nacht war die schönste Nacht meines Lebens«, sagte sie leise. Sie lächelten sich in stillem Einverständnis an, dann gingen sie gemeinsam in den Frühstückssaal.
Am Nachmittag besuchten sie zusammen Jonahs Schule. Amber hatte eine bunte Decke, die Aluunda gehäkelt hatte, für Jonah mitgebracht. Auch eine Leselampe, von Emilia ein selbst besticktes Deckchen, ein paar Kleidungsstücke von Amber und ein halbes Dutzend Bücher über Heilkunde von Dr. Lorenz fanden in Jonahs Zimmer ein neues Zuhause.
Jonah führte seine Mutter und Ralph stolz durch das Internat. Er zeigte ihnen die Bibliothek, den Speisesaal, den Sportraum und das Gemeinschaftszimmer, in dem er am Abend mit den anderen Schach spielte oder sich eine Sendung im Fernsehen ansah.
Etwas später hatte Amber einen Termin bei der Direktorin der Schule. Ralph aber lernte in der Zeit die beiden besten Freunde von Jonah kennen, die eigens deshalb ins Internat gekommen waren.
»Ich freue mich, Sie endlich einmal kennenzulernen«, sagte Frau Dr. Upfield und schüttelte Amber herzlich die Hand.
»Jonah hat viel über seine Mutter erzählt. Er ist stolz darauf, dass Sie der erste weibliche Winemaker im Barossa Valley waren.«
»Sagt er das?«, freute sich Amber.
»Aber ja. Er ist stolz auf seine Mutter, die den Mut hatte, neue Wege zu gehen. Und das nicht nur beim Wein.«
Amber sah Frau Dr. Upfield an und hatte plötzlich den Eindruck, dieser Frau vertrauen zu können.
»Leider überschätzt Jonah mich wohl in dieser Hinsicht«, erwiderte sie mit einer Offenheit, die sie im Allgemeinen Fremden gegenüber nicht an den Tag legte. »Ich habe immer den Fortschritt gewollt, aber letztendlich habe ich meine Ziele nicht erreicht.«
Frau Dr. Upfield winkte ab. »Auch das Scheitern gehört zum Leben, Mrs Emslie. Scheitern ist die Voraussetzung für Fortschritt. Nur aus eigenen Fehlern kann man lernen, nicht aus dem, was auf Anhieb gut und richtig gelaufen ist.«
Sie sah Amber mit einem warmen Ausdruck an. »Auch dass sie Ihren Sohn auf unsere Schule geschickt haben, war mutig, Mrs Emslie. Jonah ist überaus begabt, sehr zielstrebig und dabei stets freundlich und hilfsbereit. Er möchte Arzt werden, und seine Lehrer sind sich einig, dass dieser Beruf ausgezeichnet zu ihm passt. Er bringt alle Voraussetzungen dafür mit.«
»Wenn er das schaffte, dann wäre er der erste schwarze Arzt in Barossa Valley«, erwiderte Amber.
»Er schafft es ganz sicher. Darauf kann ich Ihnen mein Wort geben. Und wir Lehrer werden ihm dabei helfen.«
19
Amber fand nach dem Ausflug nur schwer wieder in den Alltag zurück. Kam ein Brief von Jonah, so saß sie stundenlang damit auf der Veranda, hielt ihn in den Händen und träumte in den Tag.
Es war ihr noch gelungen, eine Restaurantkette in Sydney von der Qualität ihrer Weine zu überzeugen. Nun musste sie nicht mehr reisen; der Wein verkaufte sich gut, und in Sydney war es den Menschen vollkommen gleichgültig, wer diesen Wein gemacht hatte.
Das Ansehen des Gutes hatte auch in Barossa Valley wieder gewonnen. Seit Jonah weg war, schien es für die Einheimischen keinen Anlass mehr zu geben, über Carolina Cellar zu
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