Unter dem Teebaum
kicherten. Sogar der Wirt ließ seine Gläser sein, band die Schürze ab und zwirbelte seinen Schnurrbart.
Der Bürgermeister von Hahndorf schritt gemessen über die Tanzfläche, pustete zwei-, dreimal laut in das Mikrofon und sagte dann: »Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte sie nun zur Quadrille bitten.«
Innerhalb weniger Sekunden bildeten sich die Paare. Jeweils vier Paare stellten sich zu einem Quadrat auf, der Bürgermeister zog sich eine Smokingjacke über und verwandelte sich in den Zeremonienmeister.
»Bitte Aufstellung nehmen für ›Le Pantalon‹, die erste Tour!«
»Komm, lass uns die Quadrille tanzen«, bat Amber und zog Steve leicht am Ärmel. Sie hatte Quadrille getanzt, seit sie denken konnte. Der Tanz war für Amber mehr als nur ein Tanz. Es war ein Stück Heimat. Ein Stück heile Kinderwelt, Unbeschwertheit. Eine letzte Erinnerung an ihre Mutter Carolina, die eine begeisterte Tänzerin war und Amber den richtigen Hofknicks beigebracht hatte.
Quadrille war ein Stück alte Welt mit festen Rollen. Und sosehr Amber in der Gegenwart auch gegen die angestammten Rollenverhältnisse aufbegehrt hatte, sosehr liebte sie die Quadrille.
»Bitte, Steve, tanz mit mir!«
Steve hielt sich an seinem Bierglas fest und starrte mit trüben, glasigen Augen auf die sonnengelbe Flüssigkeit. Er sah nicht einmal hoch, sondern schüttelte nur stumm den Kopf und versuchte Ambers Arm abzuschütteln.
»Steve, bitte. Tu mir den Gefallen!«
»Ich kann diesen Scheißtanz nicht tanzen. Und ich will es auch nicht. Ich hasse diese ganze dünkelhafte Gesellschaft, die zu glauben scheint, Hahndorf am Rande des Outback wäre ein europäischer Adelshof.«
Er sah hoch und wies mit dem Finger auf die Kramladenbesitzerin Rischke. »Guck dir das alte Reff an! Keine echten Zähne mehr im Mund, aber eine Miene wie die Oberkammerzofe der Queen persönlich.«
»Pst«, machte Amber und sah sich peinlich berührt um.
»Erste Tour, Le Pantalon!«, rief der Zeremonienmeister. »Es fehlt noch ein Paar. Ich bitte darum, die Plätze einzunehmen. Ein Herr und eine Dame fehlen noch im dritten Quadrat. Na? Seid ihr etwa schon alle müde?«
Amber sah sich nach einem Partner um, der vielleicht mit ihr die Quadrille tanzen könnte, doch die Männer, die noch an den Tischen saßen, sahen nicht aus, als könnten sie noch aufrecht gehen.
Der Pianist schlug die ersten Takte an, die Paare begrüßten einander mit einem Kopfnicken und Knicks, und Amber hatte sich gerade damit abgefunden, dass die Quadrille ohne sie stattfinden würde, da tippte ihr jemand auf die Schulter.
Sie fuhr herum.
»Darf ich um diesen Tanz bitten?«, fragte Ralph Lorenz und bot ihr seinen Arm.
Einen Augenblick nur zögerte Amber. Dann stand sie auf und schritt lächelnd auf die Tanzfläche.
Sie schwebte über das Parkett, tanzte die Damenmühle, wirbelte anmutig durch ihr Quadrat, fand sich immer wieder bei Ralph ein. Amber tanzte wie ein Glühwürmchen in einer heißen Sommernacht. Aus purer Freude am Leben. Ihr Rock wirbelte hoch, die schlanken Beine bewegten sich mit schneller Anmut, ja selbst der Hofknicks war nicht höfisch-steif, sondern verspielt und charmant. Amber strahlte, schritt am Arm Ralphs, pustete sich eine Haarsträhne aus der erhitzten Stirn, lachte mit offenem Mund und weit nach hinten geworfenem Kopf über eine Bemerkung Ralphs. Sie sah die bewundernden Blicke der Männer nicht, auch nicht die giftigen Blicke der Frauen. Sie sah nur die Figuren der Quadrille und ihren Partner.
Sie war erhitzt, als der Tanz zu Ende war. Ihre Augen strahlten. Sie ließ sich von Ralph an ihren Platz zurückgeleiten und trank hastig ein Glas Wasser.
»Wir gehen«, sagte Steve, stand wortlos auf und ging, ohne auf Amber zu warten oder sich von jemandem zu verabschieden, zur Tür.
Amber bekam leise Furcht. So hatte sie Steve lange nicht mehr erlebt. Was hat ihn diesmal in Ärger versetzt?, fragte sie sich, dann suchte sie nach Emilia und schob gemeinsam mit ihr den Rollstuhl mit Walter zum Parkplatz.
Während des Rückwegs herrschte eisiges Schweigen im Auto. Auch Amber war ernüchtert. Sie hatte die Quadrille so genossen, aber war dieser kurze Genuss, dieses Schweben an Ralphs Arm das wert gewesen, was sie nun von Steve zu erwarten hatte?
Wortlos kamen sie auf dem Gut an, wortlos verschwand Steve und ließ Amber und Emilia mit Walter allein.
Peena hatte auf ihre Rückkehr gewartet. Sie kümmerte sich um den alten Mann, brachte ihn ins Bett, während
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