Unter dem Teebaum
reden.
Steve hatte seine Besuche im Bordell eingestellt, und die meisten glaubten, dass sich ihre Ehe seit Jonahs Weggang wieder erholt hatte. Es schmerzte Amber, Jonah als Schuldigen zu wissen, aber sie hatte inzwischen mehr als einmal erfahren, dass sie nichts tun konnte, um die Meinung der Leute zu ändern. Sie aber wusste, dass Steves häufige Anwesenheit im Haus Peena zu verdanken war.
Ralph kam pünktlich einmal in der Woche. Er gab vor, nach Walter zu sehen, aber Amber wusste, dass er wegen ihr kam. Es tat ihr gut, ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen. Doch Zärtlichkeiten duldete sie nicht. Zu groß war ihre Angst vor Steve. Amber liebte Ralph aus der Ferne. Das klang nach wenig, aber es war mehr, als sie in all den Jahren zuvor gehabt hatte. Allein das Wissen um seine Liebe half ihr, den Alltag auf Carolina Cellar zu ertragen.
Margaret aber kam nicht mehr so häufig. Auch sie war älter geworden, auch ihre Kräfte hatten nachgelassen. Aber sie ließ es sich nicht nehmen, wenigstens zweimal pro Woche mit Amber zu telefonieren.
Peena pflegte Walter, und Walter gedieh unter ihrer Pflege. Inzwischen gelang es ihm sogar, die Worte so im Munde zu drehen, dass die anderen ihn verstanden. Nein, seine Sprache war nicht klar und deutlich, sondern verwaschen, doch Amber kannte ihren Vater lange genug, um zu wissen, was er sagte.
Mit einem kleinen Seufzer legte sie Jonahs Brief zur Seite und sah in die Krone des großen Akazienbaumes, der seinen Schatten auf die Veranda warf. Sie fühlte sich unbeschwert und sorglos. Im Augenblick gab es nichts, was ihr Probleme bereitete.
Es war November geworden, die Tage wurden wieder wärmer, der Frühling hielt Einzug in Australien. Seit gut zwei Wochen konnte man schon für einige Stunden auf der Veranda oder auf dem Balkon sitzen, und Walter Jordan tat seither nichts anderes. Er saß in seinem Rollstuhl, die Beine in eine Decke gewickelt, und beobachtete die Vorgänge auf dem Gut. Die Arbeiter waren gerade damit beschäftigt, einen Tank mit Schädlingsbekämpfungsmittel zu füllen, um damit die Rebstöcke zu spritzen. Walter sah ihnen mit zusammengezogenen Augenbrauen dabei zu. Dann klopfte er auf die Lehne seines Rollstuhles.
»Was ist, Vater?«, fragte Amber.
Mühsam machte sich der alte Mann verständlich. »Wie viel Stickstoff im Tank?«, nuschelte er.
Amber rief Bob herbei, teilte ihm die Frage Walters mit und überließ die beiden Männer ihrem Gespräch.
Sie setzte sich zurück an den Tisch und nahm sich die andere Post vor. Ein Schreiben vom Ortsverband Hahndorf, der Nachbargemeinde, war dabei.
»Vater«, sagte sie, als Bob gegangen war, und rückte ihren Stuhl so, dass sie ihn ansehen konnte. »In Hahndorf findet das jährliche Fest der deutschen Australier statt. Du hast immer daran teilgenommen. Möchtest du auch in diesem Jahr dabei sein? Sollen wir hinfahren?«
Der Vater nickte. Seine Augen bekamen einen wehmütigen Glanz. Amber verstand ihn. Er kannte seine deutsche Heimat von Besuchen und aus den Erzählungen seiner Eltern. Manchmal dachte Amber, dass er sehr gern in Hahndorf, das auch »das deutsche Dorf« genannt wurde, leben würde. Dort war die Heimat noch gegenwärtig. Dort gab es Blasmusik und Frauen, die sich einmal die Woche zur Liedertafel zusammenfanden und mit fester Stimme »Ännchen von Tharau« und »Am Brunnen vor dem Tore« sangen. Regelmäßig wurden Walzerabende abgehalten, bei denen natürlich auch Polka, Rheinländer und Quadrille getanzt wurden. In den Wirtschaften gab es Königsberger Klopse, Buletten mit Kartoffelsalat und freitags natürlich Häckerle oder grüne Heringe. Im Laden von Frau Rischke stand Leinöl neben Zuckerrübensirup und bayerischem Senf. Untereinander sprach man deutsch, eine Sprache, die Walter Jordan recht gut beherrschte und von Amber einigermaßen verstanden wurde. Es gab zwar keine deutsche Schule, doch die Gemeindehelferin sammelte zwei Mal die Woche die Kinder um sich, um ihnen auf Deutsch die Märchen der Brüder Grimm vorzulesen.
»Ich würde gern nach Hahndorf fahren, Amber«, brachte Walter mühsam hervor.
»Gut«, sagte Amber. »Dann fahren wir auch.«
Walter Jordan war es wohl ein wenig peinlich, im Rollstuhl in den großen, geschmückten Festsaal des Gasthauses »Zum weißen Hirschen« geschoben zu werden, doch es tat ihm sichtlich gut, seine alten Hahndorfer Freunde wiederzusehen.
Amber war mit Steve und Emilia, die genau wie Steve kein einziges deutsches Wort sprechen konnte, und mit Margaret
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