Unter dem Teebaum
Winemaker.« Er betonte das »weibliche« übertrieben und fügte hinzu: »Kann mir egal sein, was du mit den Weinbergen und der Kellerei machst.«
Amber nickte. Zum ersten Mal sah sie ihn an. Er hatte die kalten blauen Augen ein wenig zusammengekniffen und sah angestrengt zu den Wolkenbergen auf, die mit jeder Minute schwärzer wurden.
Sein schmaler Mund verschwand fast unter seinem Schnauzbart, der an den Spitzen vom Tabak gelbbraun verfärbt war. Die Nase war lang und schmal, das Kinn hart und kantig. In der Stadt galt er als attraktiver Mann und gute Partie. Amber hatte oft gehört, wie die Frauen von seinen Augen schwärmten. Unergründlich, hatten sie gesagt. Rätselhaft. Amber fand Steves Augen eisig. Sie fröstelte jedes Mal, wenn sein Blick an ihr auf und ab fuhr.
Sie hatten Adelaide hinter sich gelassen und fuhren durch eine sanfte Mittelgebirgslandschaft mit grünen Hügeln, saftigen Weiden und dichten Wäldern Richtung Barossa Valley. Sie hätten den Highway benutzen können, doch die schmale Landstraße, die an manchen Stellen nicht einmal befestigt war, führte direkt zum Gut. Amber liebte diesen Weg, der zwar etwas beschwerlicher, aber landschaftlich sehr viel schöner war.
Etwas mehr als eine Stunde würden sie brauchen, um das riesige Weingut zu erreichen, das den Namen von Ambers verstorbener Mutter trug: Carolina Cellar.
Der Wind hatte sich plötzlich gelegt. Die Bäume rauschten nicht mehr, die Vögel hatten aufgehört zu singen. Eine beklemmende Stille herrschte, nur unterbrochen vom Dröhnen des Motors.
»Es ist, als holte die Natur Atem«, dachte Amber und bemerkte nicht, dass sie den Satz laut ausgesprochen hatte.
Steve Emslie sah sie von der Seite an und zog die Augenbrauen zusammen. »Dann soll die Natur mal aufpassen, dass sie dabei nicht erstickt.«
Sofort senkte Amber den Kopf und blickte auf ihren Schoß. Ihre Hände knüllten die feine Seide des Kleides. Sie hatte sich nach der feierlichen Verabschiedung im College nicht umgezogen und trug noch immer das blaue Kleid mit den weißen Punkten und dem weißen Kragen, wie immer zu festlichen Anlässen. Ihr Haar, das sie gewöhnlich offen oder als Pferdeschwanz trug, war heute hochgesteckt, und die Lippen zeigten noch leichte Spuren des rosafarbenen Lippenstifts.
Heute Morgen hatte sie sich schön und erwachsen gefühlt. Doch jetzt schien es ihr, als wäre ihr Kleid in diesem Wagen und an der Seite von Steve Emslie so fehl am Platze wie ein Weihnachtsbaum am Osterfest.
Schon immer hatte es der Verwalter verstanden, ein merkwürdiges Schamgefühl in ihr auszulösen. Sie kam sich töricht vor in seiner Gegenwart. Obwohl er gerade zehn Jahre älter war als sie, behandelte er sie wie ein Kind, fand sie.
»Es ist, als holte die Natur Atem. So ein Unfug.«
Steve schüttelte den Kopf und sah sie von der Seite her spöttisch an.
Sie hob trotzig den Kopf und deutete auf die schwarze Wolkenwand mit den schwefelgelben Rändern, die sich immer näher schob.
»Die Aborigines singen und tanzen die Gewitter herbei, wenn die Erde zu trocken ist«, sagte sie, wissend, dass Emslie dafür erst recht kein Verständnis aufbrachte.
»Die Bushis singen und tanzen, weil sie zu faul zum Arbeiten sind. Ist das Land trocken, muss es bewässert werden. Das Rumgespringe und Rumgejaule hat noch keinen Tropfen auf die Erde gebracht.«
Emslie fummelte eine Zigarette aus der Tasche seines Hemds, und Amber wusste, dass sie ihn verärgert hatte. Sie lächelte zufrieden und strich ihr Kleid glatt.
»Was gibt es Neues auf dem Gut und in der Stadt?«, fragte sie.
Emslie sah geradeaus und zuckte mit den Schultern. »Die Magd vom Kingsley-Gut ist schwanger. Jetzt behauptet sie, der Sohn vom Gutsherrn hätte sie vergewaltigt.«
»Und? War es so?«
»Pah! Jeder weiß doch, wie die Schwarzen sind. Die Frauen wackeln mit den Ärschen und recken ihre Brüste, und wenn ein Mann sich dann nimmt, was ihm angeboten wird, ist das Geschrei groß. Kingsley sollte sie zurück zu ihrem Clan jagen. Sie hat es nicht besser verdient.«
Ambers Gesicht verdunkelte sich. Mit seiner Meinung stand Emslie bei Gott nicht allein in Tanunda, einer Kleinstadt, die im Herzen des Barossa Valley lag, nur zwei Meilen von ihrem Weingut entfernt. In Tanunda lebten zumeist Weiße: Weinbauern, Fassbauer, Kaufleute, dazu einige Akademiker – Lehrer, Ärzte und Tierärzte. Die Eingeborenen wohnten in wackeligen Holzhütten am Rande der Stadt und hatten wenig mit dem Kleinstadtleben zu tun. Einige
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