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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Zusammenhang bringen würde; jetzt bereute sie ihre Arglosigkeit.
    »Wir haben die Trauben länger hängen lassen als die meisten anderen. Die Sonne schien noch Tage, nachdem ihr mit der Lese fertig wart, sehr kräftig. Unsere Trauben hatten dadurch mehr Zucker. Das ist das ganze Geheimnis.«
    »Das sagst du, Amber – aber die Leute reden anders. Es hat noch nie einen weiblichen Winemaker hier gegeben. Die meisten sind Winzer, weil sie mit Wein im Blut geboren sind. Sie lernen das Handwerk von den Vätern. Du aber hast einen Abschluss vom College. Wein muss geschmeckt und gerochen werden. Das kann man nicht aus Büchern lernen.«
    Amber nickte. Sie wusste, dass Lambert sie provozieren wollte. Aber sie wusste auch, dass sein Wort viel Gewicht besaß.
    Schon wieder musste sie die Worte genau wägen.
    »Du hast recht, Lambert. Für Wein braucht man ein Gefühl. Ich denke, mein Vater wird es mir vererbt haben. Doch die Welt dreht sich, entwickelt sich. Du baust deinen Wein heute auch anders an als deine Vorfahren vor hundert Jahren. Ich aber wollte lernen, wie die Zukunft des Weins aussehen könnte.«
    Die jungen Winzer nickten. Doch der alte Lambert war nicht zufrieden.
    »Eine Frau hat im Weinkeller überhaupt nichts verloren. Du solltest deinem Mann ein Kind in die Wiege legen, das ein bisschen weniger dunkel ist. Das ist deine Aufgabe.«
    »Wenn es an der Zeit ist, wird es so sein, Lambert«, mischte sich Steve ins Gespräch. »Du solltest deine Zeit nicht mit Weibergetratsche vertun. Wenn du wissen möchtest, wie unser Wein schmeckt, dann komm zu uns. Du bist ein gern gesehener Gast.«

11
    Jonah gedieh schlecht. Obwohl Amber ihn nach wie vor stillte, ein wenig Brei zufütterte und dafür sorgte, dass er genügend Ruhe und Schlaf bekam, blieb er klein, schwach und weinte oft.
    Währenddessen war der Sommer mit aller Gewalt über Barossa Valley hereingebrochen. Die Luft war so dick, dass Amber den Eindruck hatte, sich gegen eine träge, erstickende Masse behaupten zu müssen. Kein Lüftchen wehte. Alles war erstarrt. Die Bäume waren zu leblosen Säulen geworden, deren Blattwerk kraftlos an den Zweigen hing. Die Weinberge waren so trocken, dass die Trauben am Stock verdorrten. Die Sonne brannte die Weiden und Wiesen aus, die kleinen Flüsse waren verschwunden, ihre Betten rissig und voller Steine. Die Menschen bewegten sich mit einer Langsamkeit, als wäre ihnen das Blut in den Adern zu dick geworden. Auch die Sinne waren betäubt. Die Augen sahen flirrende Trugbilder, die Ohren hörten am Tage die Geräusche der Nacht und in der Nacht die Stille des Todes. Die Münder blieben stumm, weil die Worte in ihnen vertrockneten. Das Fühlen aber hatte sich gänzlich der Macht der Sonne unterworfen. Liebende spürten in der Nacht nicht mehr die Haut des anderen, sondern tasteten im klebrigen Schweiß nach der Erinnerung an sanfte Zärtlichkeiten von leichten, kühlen Händen. Überall roch es nach Staub und verdorbenen Lebensmitteln. Selbst das frische Brunnenwasser besaß einen Hauch von Fäulnis, und die Äpfel schmeckten vergoren, wenn sie die Lippen berührten.
    Hunde suchten schon am Morgen den Schatten, die Vögel hatten zu wenig Kraft für ihre Lieder. Australien lag wie ein großes schlafendes Tier auf der Erdkugel. Nicht einmal die Nacht brachte Erfrischung. Die Luft stand wie eine Wand vor den dicken Mauern des Gutshauses und bedrohte den Schlaf. Die Bewohner wälzten sich unruhig auf nass geschwitzten Laken und erwachten morgens aus zähen Träumen.
    Amber schwitzte. Sie saß vollkommen regungslos auf einem Rattanstuhl neben der Wiege des Kleinen. Sie rührte keinen Finger, trotzdem klebte ihr das Haar feucht im Nacken, die Haut war von einem dünnen Schweißfilm überzogen, das Kleid am Rücken und unter den Armen nass.
    Langsam bewegte sie den Kopf und sah zu Jonah. Der Kleine hatte das Gesicht schon wieder weinerlich verzogen. Sein kleines Bäuchlein war aufgebläht, die Augen waren ohne Glanz.
    »Wenn ich nur wüsste, was dir fehlt«, murmelte sie, hob die Hand, um ihm das Bäuchlein zu streicheln, doch es fehlte ihr an Kraft. Sie ließ die Hand fallen und betrachtete müde das Kind.
    Die dünnen Ärmchen ruderten in der Luft. Der kleine Mund öffnete sich, doch nie kam ein glucksendes Lachen daraus hervor, sondern immer nur klägliches Jammern.
    Jetzt schwieg er. Amber schloss die Augen und überließ sich dem fauligen Sommer. Ein Bild erschien, zuerst verschwommen, dann etwas klarer. Ein Mann tauchte vor

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