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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Kind?«
    Auch der Vater war wütend. Amber sah es seinem Gesicht an. Er fixierte sie aus zusammengekniffenen Augen. »Es gibt Regeln, an die man sich halten muss. Die Natur hat es eingerichtet, dass Frauen Kinder bekommen, und sie hat den Männern die Aufgabe zugewiesen, für Frauen und Kinder zu sorgen. Auch die Aborigines leben so.«
    Amber sah ihn an und schüttelte den Kopf.
    »Es ist, wie es ist, Amber. Wir sollten dafür sorgen, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr als unbedingt nötig auf uns ruht. Die anderen fragen, warum die Aborigines unser Gut verlassen haben. Es ist ungewöhnlich, dass ein ganzer Clan einschließlich der Alten und der Babys ins Outback auf Songlines geht. Die Aborigines gehen auch, wenn ›schlechte Geister‹ herrschen.«
    Er forschte in ihrem Gesicht nach einem Anzeichen, das ihm sagte, ob sie ihn verstanden hatte. Als er keines fand, fügte er hinzu: »Die Leute haben geredet, als Steve verschwunden war. Wir stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Das können wir uns nicht leisten. In keiner Hinsicht, Amber.«
    »Du willst damit sagen, dass ich nicht als Winemaker arbeiten darf, damit die Leute nicht reden? Weil ich die einzige Frau in der ganzen Gegend bin, die einen Abschluss hat? Weil die Eingeborenen ohne Ankündigung das Gut verlassen haben und mein Ehemann ein paar Wochen lang verschwunden war?«, fragte Amber.
    »Nein … ja … wir müssen vorsichtig sein. Die Leute reden, und du hast ein schwarzes Kind in der Wiege. Auch der Dümmste weiß nun, dass dein Kind ein Mischling und keinesfalls von Steve ist.«
    »Der Dümmste, Vater, bist du. Und ich bin verzweifelt darüber. Ich kann nicht begreifen, dass du so kleinmütig bist.«
    »Ich habe einen Menschen getötet, Amber.«
    »Ich weiß. Und das ist schlimm genug. Deine Angst kann ich verstehen, aber Angst macht klein. Gerade weil du die Grenzen des Menschseins überschritten hast, wäre es an dir, mit den alten Regeln zu brechen und dafür zu sorgen, dass etwas Neues entsteht. Denn es waren die alten Regeln und Traditionen, die zu Jonahs Tod geführt haben.«
    Sie betrachtete ihren Vater, und sie verachtete ihn in diesem Augenblick. Dann ließ sie ihn stehen. An der Tür aber hielt sie inne und wandte sich noch einmal um: »Ich schäme mich, Vater. Aber ich schäme mich nicht für mein schwarzes Kind. Ich schäme mich für dich.«
    Walter Jordan zuckte unter diesen Worten zusammen wie unter Schlägen. Er hob die Arme, eine hilflose Geste, die an einen kranken Vogel erinnerte, dann ließ er sie fallen und senkte das Haupt.
    Den ganzen Tag über war Amber so wütend, dass sie die Menschen mied. Sie befürchtete, ungerecht zu sein, ihren Zorn an jemandem auszulassen, der nichts dafür konnte. Sie trieb sich in den Weinbergen herum und kontrollierte die Stöcke, die an Drahtrahmen befestigt waren. Die ersten Trauben waren schon zu sehen, erbsengroß. Amber pflückte eine davon und zerbiss sie. Die Säure beruhigte ihren Zorn.
    Nein, sie dachte nicht daran, ihrem Vater zu gehorchen. Sie würde weiterhin auf dem Gut mitarbeiten. Es war nicht nur ihr Beruf, es war ihre Passion. Sie würde aus den alten Sorten das Beste herausholen, und sie würde nach dem nächsten Herbst damit beginnen, einen neuen Berg anzulegen. Langsam ging sie weiter, nahm hin und wieder ein Weinblatt in die Hand und suchte nach Schädlingen. Sie war zufrieden mit den Reben. Sie standen gut, waren kräftig, die Stöcke ohne Befall, der Boden gedüngt und gelockert. Nun musste die Sonne ihr Bestes geben.
    Der Mittag war lange vorüber, als sie langsam zum Gutshaus zurückschlenderte. Sie wäre am liebsten noch weiter hier draußen und fern von den Menschen geblieben, doch der kleine Jonah brauchte sie.
    Sie hörte das Geschrei schon von Weitem. Ihr Kind hatte Hunger. Ambers Brüste zogen sich zusammen, Milch trat aus. Plötzlich brach das Geschrei des Kindes ab. Einen Augenblick lang glaubte Amber, Aluunda hätte es hochgenommen und ihm vielleicht ein wenig Honigwasser gegeben, doch die Stille fühlte sich nicht so an. Ja, Amber konnte die Stille fühlen. Eine gute Stille bewirkte, dass sie ruhig wurde und friedlich. Diese Stille aber schrie. Sie war laut und brachte Ambers Herz zum Rasen. So schnell sie nur konnte, rannte sie zum Gutshaus. Die Wiege stand auf der Veranda unter einem schützenden Netz.
    Amber sah Steve neben der Wiege stehen, seine Hand verschwand darin.
    Was tat er da? Ambers Herz schlug noch schneller. Sie wollte hinlaufen, seine Hand aus der Wiege

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