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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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reißen, doch sie wusste, dass sie anders vorgehen musste. Wie viel Zeit blieb ihr noch? Wie viel Zeit ihrem Kind?
    Langsam, aber mit rasendem Herzen, betrat sie die Veranda. Sie ging zu Steve, berührte ihn leicht an der Schulter. Dann sah sie, dass er ein Kissen auf das Gesicht des Kindes gedrückt hatte. Amber gefror zu Eis. War ihr Kind schon tot? Hatte er es erstickt? All seine Wut, seine Enttäuschung in dem Kind, mit dem Kind erstickt?
    Ihr wurde schwindelig. Der eigene Atem stockte ihr, als läge auch auf ihrem Gesicht ein Kissen. Sie hörte sich keuchen, nach Luft ringen wie eine Ertrinkende. Sie griff nach Steves Arm, zog ihn mit einer Behutsamkeit, die sie alle Kraft kostete, von dem Kind.
    »Nicht«, sagte sie leise und angestrengt sanft. »Nicht das Kind.«
    Steve gehorchte Ambers sanftem Druck. Seine Hand ließ von dem Kissen ab, das Amber sofort wegschleuderte. Sie nahm das Kind aus der Wiege, schüttelte es ein wenig und weinte vor Erleichterung, als der kleine Jonah zu brüllen begann.
    Dann wandte sie sich an Steve. Sein Gesicht war grau. Auch er keuchte, Schweiß lief ihm von der Stirn. Der Ausdruck seiner Augen glich dem eines Wahnsinnigen.
    »Es ist nichts passiert«, sagte Amber so ruhig wie möglich. »Es ist nichts passiert. Du kannst gehen, Steve.«
    Und er ging. Langsam und mit gebeugten Schultern schlich er von der Veranda wie ein geprügelter Hund.
    Amber aber presste den Kleinen an ihre Brust, weinte vor Erleichterung und benetzte sein zartes Köpfchen mit ihren Tränen.
    Kurze Zeit später kam eine Einladung zur Taufe von Maggies und Jakes erstem Kind ins Haus. Maggie war, wie es sich gehörte, kurz nach der Hochzeit schwanger und noch vor Amber Mutter geworden. Da die Taufe als großes Fest gefeiert werden sollte, waren gewisse Vorbereitungen nötig gewesen. Maggies Kind, ein kleines Mädchen, war so hellhäutig und rosig wie ein Ferkel, das Köpfchen war mit weichem Kükenflaum bedeckt, und die Augen strahlten blau wie der Himmel über einer zierlichen Nase mit winzigen Löchern in die Welt.
    Dieses Kind hat alles, was mein Kind nicht hat, dachte Amber, als sie die kleine Diana zum ersten Mal sah. Sie beugte sich über die Wiege, nahm das Kind heraus und auf den Arm. Dann strich sie dem kleinen Mädchen über die prallen Wangen, hörte das fröhliche, zahnlose Glucksen und lächelte.
    Maggie stellte sich neben sie und beobachtete mit zusammengezogenen Augenbrauen, was Amber tat.
    Amber wusste, dass Steve und sie nur eingeladen worden waren, damit sie sehen konnten, wie glücklich ein normales Ehepaar war, das zu einem normalen Zeitpunkt ein weißes Kind bekommen hatte.
    Und Amber wusste noch etwas: Sie waren eingeladen, weil die wundervolle Ehe des wundervollen Traumpaares von Tanunda wohl doch nicht so wundervoll war, wie sie alle Leute glauben machen wollten. Warum sonst brauchten sie Amber und Steve, wenn nicht dafür, sich an deren Unglück zu weiden und dem eigenen Unglück weniger Bedeutung beizumessen? Nach diesem Fest, das wusste Amber, würde Maggie ein wenig glücklicher sein, weil sie sich sagen konnte, dass andere es noch schlechter getroffen hatten. Wenn nicht alle Blütenträume reifen, das hatte Amber gelernt, neigen die Menschen dazu, sich mit dem Unglück derer, denen es noch schlechter ging, zu trösten.
    »Deine Tochter ist wunderschön«, sagte Amber aufrichtig. Sie legte das Baby zurück in den Wagen und küsste Maggie auf die Wange.
    »Danke«, sagte Maggie, und es war offensichtlich, dass sie das Lob der ehemaligen Freundin nicht einordnen konnte.
    »Warum hast du dein Kind nicht mitgebracht?«, fragte Maggie und setzte ein wenig zögernd hinzu: »Ich wette, es ist ebenfalls wunderschön.«
    Amber lächelte. »Ja, der Kleine ist wunderschön. Aber er ist schwarz, und ich war mir nicht sicher, ob alle Leute hier in der Lage sind, seine Schönheit zu erkennen. Außerdem wäre es für Steve eine Strafe gewesen, sich mit dem Bastard seiner Frau zeigen zu müssen.«
    Maggie prallte bei diesen Worten zurück. Sie war so sehr an die gesellschaftlichen Lügen gewöhnt, dass die Wahrheit ihr Unbehagen verursachte. Sie wusste keine Worte dafür, also nickte sie nur. Doch die Neugier war noch stärker als ihr Unbehagen. »Liebst du ihn? Ich meine, liebst du das Kind? Ich frage nicht, weil es schwarz ist, sondern weil es keinen Vater hat. Unsere Diana wurde in Liebe gezeugt. Verstehst du?«
    Amber nickte. »Ich verstehe dich besser, als du glaubst. Ja, ich liebe mein Kind.

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