Unter dem Vampirmond 3 - Verlangen
Flugzeug abhob, dachte ich, ich müsse mich übergeben. Meine Finger schlossen sich so fest um die Sitzlehne, dass ich aufpassen musste, sie nicht zu zerquetschen. Ich war noch nie geflogen und hatte eine Heidenangst.
Das wiederum belustigte Ezra ungemein. Er gluckste freundlich über meinen entsetzten Gesichtsausdruck, als die Triebwerke anfuhren und surrende und klickende Geräusche machten, die in meinen Ohren klangen wie der Tod persönlich. Ich sah aus dem Fenster in die dunkle Nacht und stellte mir vor, dass das Flugzeug auf der Startbahn in Flammen aufging.
»Der erste Flug?« Eine Frau auf der anderen Seite des Gangs sah mich fragend an.
»Sie schafft das schon«, sagte Ezra kurzangebunden. Ich war zu sehr mit meiner Angst beschäftigt, als dass ich seine unhöfliche Antwort hätte kommentieren können. Als sein Blick zu mir zurückwanderte, lächelte er.
»Du könntest mich ein wenig trösten«, regte ich mit dünner, ängstlicher Stimme an.
»Warum? So kannst du wenigstens nicht über die anderen Dinge um dich herum nachdenken«, sagte Ezra. »Nach New York fliegen wir nicht einmal drei Stunden, und ich möchte, dass du erst auf dem Anschlussflug etwas zu dir nimmst.«
Mit »die anderen Dinge« meinte er die Passagiere, die das Flugzeug mit dem Geruch ihres Blutes erfüllten; dabei war es nicht einmal ausgebucht. Ich hatte erst am Vortag getrunken, doch leider hatte ich meinen Hunger noch nicht sonderlich gut im Griff.
»Mmm, klingt gut«, murmelte ich. Leider hatte er recht. Meine Flugangst machte es mir unmöglich, auf meinen Durst zu achten.
Ezra lächelte trocken. »Weißt du, du solltest das genießen«, sagte er. »Es wird nicht mehr viele Gelegenheiten geben, bei denen du eine solche Angst verspüren wirst.«
»Oh, das ist ja echt super.«
»Ich gebe dir mal einen kleinen Tipp.« Er beugte sich zu mir herüber und senkte die Stimme, damit die Umsitzenden ihn nicht hören konnten. »Sogar wenn das Flugzeug abstürzt, wirst du überleben. Du bist jetzt unsterblich.«
Das war mir noch gar nicht bewusst gewesen. Ich war jetzt ein Vampir und würde ein Unglück überleben.
Ich lockerte den Griff um die Armlehnen. Als eine Turbulenz das Flugzeug schüttelte, klammerte ich mich jedoch wieder an Ezra, der nur schmunzelte.
Ich versuchte, den Rest des Fluges zu genießen, doch bei der Dunkelheit konnte ich durch das Fenster nicht viel sehen. Ezra hatte ein paar Bücher über Spurensuche mitgebracht, die er durchblätterte, obwohl er sie wahrscheinlich schon gelesen hatte. Wahrscheinlich hatte er sämtliche Bücher gelesen, die je geschrieben worden waren.
»Wo fliegen wir überhaupt hin?«, fragte ich ihn leise. Die meisten anderen Passagiere schliefen und ich wollte sie nicht aufwecken.
»New York City«, erwiderte Ezra, ohne von seinem Buch aufzusehen. »Und dann weiter nach Finnland.«
»Finnland?« Ich runzelte die Stirn, denn diese Auskunft kam für mich völlig überraschend. »Peter ist in Finnland?«
»Glaube ich jedenfalls.« Er blätterte um. »Er hat sich schon immer gern in Skandinavien versteckt, besonders im Winter. Da gibt es monatelang kaum Tageslicht und die Temperaturen liegen meist unter dem Gefrierpunkt.«
»Wir fliegen also nur bin, weil es ihm da gefällt?« Ich konnte mir nicht recht vorstellen, dass sich Peter in Finnland aufhielt. Das klang einfach nicht ... exotisch genug.
»Nein. Peter hat in Finnland einen Streit gehabt. Ich weiß zwar nicht, wo genau, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er dort ist«, sagte Ezra.
»Einen ›Streit‹? Was ist passiert?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher«, sagte Ezra nach einigem Zögern. »Ich möchte lieber keine Spekulationen anstellen.«
»Du möchtest lieber keine Spekulationen anstellen?«, wiederholte ich. »Ich fliege mit dir um den halben Erdball, und du hast nicht nur keine Ahnung, wo wir genau hinmüssen, sondern du würdest lieber keine Spekulationen darüber anstellen, warum wir überhaupt da hinfliegen?«
»Finnland ist nicht um den halben Erdball«, verbesserte mich Ezra.
»Meinetwegen.« Ich sank tief in meinen Sitz und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich kann kein Finnisch.«
»Brauchst du auch nicht. Ich kann es.« Er blätterte wieder in seinem Buch und ich seufzte.
»Das kann ja eine lustige Reise werden, wenn du immer so gesprächig bist«, murmelte ich. Er lachte in sich hinein.
Ich lieh mir von Ezra ein Buch, damit ich den Rest des Fluges etwas zu tun hatte. Nach ein paar Stunden Lektüre
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