Unter dem Weltenbaum - 01
Schwert geschwungen, was nicht ohne Auswirkungen auf seine Statur geblieben war. Der Herzog wirkte jedenfalls sehr beeindruckend. Jetzt fiel Faraday auch auf, daß ihre Mutter sich über Priams engste Familienangehörige merkwürdig ausgeschwiegen hatte.
»Bornheld ist der Sohn von Priams einziger Schwester Rivkah, die Bornhelds Vater Searlas geheiratet hat, den vorherigen Herzog«, erklärte Devera.
Faraday hörte auf damit, den Neffen des Königs zu betrachten, und wandte sich wieder ihrer Freundin zu. Für einen Moment war es ihr so vorgekommen, als habe Devera bei ihrer Antwort gezögert. Vielleicht lag aber auch ein dunkler Sinn hinter ihren Worten verborgen. Gleichwie, Faraday kam nicht dahinter. »Wenn Priam also kinderlos bleiben sollte, wird Bornheld eines Tages König?«
Devera zuckte die Achseln und trank von ihrem Wein. »Wahrscheinlich, solange die anderen Grafen und Barone nicht beschließen, ihm diesen Titel streitig zu machen.«
»Aber das hieße ja Bürgerkrieg! Ihr wollt doch nicht etwa andeuten, unsere Väter könnten so treulos sein!« Für das Mädchen stand die Treue bei den Tugenden ganz obenan.
»Nun, der Preis wäre eine solche Revolte wohl wert, oder?« gab die Ältere ungehalten zurück. Der Wein, den sie bereits genossen hatte, hatte ihre Zunge gefährlich gelockert.
Faraday wandte sich unübersehbar von ihrer Nachbarin ab und ihrer Mahlzeit zu. Sicher wäre es klüger, wenn Devera sich für eine Weile mit dem Jüngling an ihrer anderen Seite unterhielte.
Nach zwanzig schweigenden Minuten bemerkte Faraday einen Mann, der sich leise durch die Schatten jenseits der Säulenreihe bewegte und behende seinen Weg zwischen den überfüllten Tischen hindurch suchte, wobei er geschickt den Kellnern und Kellnerinnen auswich. Hier und da beugte der Fremde sich zu einem der Feiernden hinab und wechselte ein paar Worte mit ihm.
Das Mädchen konnte den Blick bald nicht mehr abwenden, so anmutig und geschmeidig wußte er sich zu bewegen. Nach einer Weile entdeckte sie, daß der Fremde auf Umwegen der königlichen Tafel immer näher kam. Ob er etwa zu den Hochgeborenen gehörte? Faraday mußte unbedingt erfahren, was der Mann vorhatte.
Nun hatte er die Tische mit den vornehmsten Gästen erreicht, und die junge Frau konnte ihn zum ersten Mal genauer anschauen. Verwundert hielt sie den Atem an. Nicht einmal der König besaß eine solche Ausstrahlung.
Der Fremde wirkte jung an Jahren und war vielleicht zehn oder elf Jahre älter als Faraday. Man konnte ihn nicht direkt schön nennen, aber er fiel dennoch sofort auf. Das beruhte zum einen auf seinen raubkatzenhaften Bewegungen und zum anderen auf der ungewöhnlichen Fremdheit seiner Züge. Das lange Haar hatte er im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und sein kurzgeschnittener Bart trug die Farbe von sonnengebleichtem Weizen. Die wasserblauen Augen blickten so durchdringend drein wie die eines Raubvogels. Seine schlanke große Gestalt wurde von einer Uniform bedeckt, wie das Mädchen sie noch nie gesehen hatte, weder in ihrer Heimat Skarabost noch hier in Karlon. Über einer engsitzenden schwarzen Lederhose und Reitstiefeln trug der Mann ein hüftlanges Überhemd aus geschickt gewobener schwarzer Wolle. Selbst die Tressen an den Schultern und die Schnurschlingen auf den Ärmeln zeigten sich in der dunklen Farbe. Die einzige Ausnahme stellten zwei gekreuzte Äxte dar, die man ihm über der linken Brust aufgenäht hatte. Als der Fremde in das hellere Licht im Rund trat, wirkte er wie ein Panther, der gerade aus dem Dunkel des Urwalds tritt und auf einer sonnenüberfluteten Lichtung erscheint.
»Devera!« flüsterte Faraday eindringlich.
Die Grafentochter drehte sich zu ihr um und blickte dorthin, wohin die Jüngere schaute. »Ach so«, bemerkte sie dann. Faraday reagierte wie jede Frau, die den Axtherrn zum ersten Mal zu sehen bekam. Der Mann wußte um seine Wirkung, pflegte sie, und wenn er sich in der Stimmung dazu befand, wußte er sie auch zu seinem Vorteil zu gebrauchen.
Devera seufzte und legte eine Hand auf die der Jüngeren, die jetzt, da der Axtherr sich wieder in Bewegung setzte, aus dem Staunen gar nicht mehr herauszukommen schien. »Das ist Axis, der Herr der Axtschwinger.«
Die Axtschwinger! Die legendäre militärische Elitetruppe des Seneschalls! Und dies war der Befehlshaber dieser Einheit! Kein Wunder, daß er ihr gleich aufgefallen war. Faraday hatte nicht zu hoffen gewagt, während ihres Aufenthalts in Karlon einen
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