Unter dem Weltenbaum - 01
denn, Faraday? Nein, Bruderführer Jayme stammt aus einer unbedeutenden Familie irgendwo in den Tiefen von Arkness. Da er in der Provinz aufgewachsen ist, kennt er sich vermutlich hervorragend mit der Aufzucht von Schweinen aus. Allerdings versteht er es wohl, sich davon nichts anmerken zu lassen. Vor einigen Jahrzehnten tat er hier als Hofkaplan und Beichtvater Dienst, und daher hat er wohl auch seine Manieren. Jayme war … nein, er ist eigentlich immer noch ein sehr ehrgeiziger Mann, und er hat hier am Hof alles gelernt, was ihm wichtig erschien. Jedenfalls genug, um eines Tages zum Bruderführer ernannt zu werden.«
Faraday zeigte sich empört darüber, wie abfällig ihre neue Freundin von diesem heiligen Mann redete. »Devera, so darf man nicht über den Bruderführer sprechen. Die Bruderschaft des Seneschalls erwählt ihren Bruderführer, und der königliche Hof nimmt darauf keinen Einfluß.«
Bei Artor! dachte Devera. Dieses junge Ding hat noch eine Menge über die Intrigen des Hofs und des Seneschalls zu lernen. Sie beschloß, das Gespräch lieber auf ein anderes Thema zu lenken. »Wie gefällt Euch denn König Priam, Faraday?«
Das Mädchen lächelte, und in diesem Moment wirkte es wirklich bezaubernd. »Er sieht sehr gut aus.« Dann blitzte es frech in ihren Augen. »Aber diese Löckchen, Devera!«
Die Herzogstochter mußte unwillkürlich lachen. Priam hatte das gute Aussehen seiner Familie geerbt wie auch deren dunkelrotes Haar. Aber bei einem Mann, der die vierzig deutlich überschritten hatte, wirkte es schon ein wenig lächerlich, sich weiterhin das Haar wie ein eitler Jüngling frisieren zu lassen.
»Das dort muß seine Gemahlin sein, Königin Judith.« Faraday deutete auf eine vergeistigt wirkende Frau von zerbrechlicher Schönheit, die zwischen Priam und dem Bruderführer saß. Noch während sie hinsah, beugte sich der König aufmerksam vor und reichte seiner Gattin die besten Fleischstücke von seinem Teller.
»Ja, das ist sie. Welch eine Tragödie! Es heißt, Priam liebe sie über alle Maßen, aber leider kann sie keine Kinder bekommen. In jedem Jahr ihrer Ehe, bis auf die beiden letzten, wurde sie schwanger, nur um das Kind im vierten oder fünften Monat zu verlieren. Und nun ist sie vermutlich zu alt fürs Kinderkriegen.«
Beide jungen Frauen schwiegen für einen langen Moment und versuchten sich das Ausmaß eines so fürchterlichen Schicksals bewußt zu machen. Die Hauptaufgabe jeder Adligen bestand darin, ihrem Gatten Söhne zu schenken, und das so rasch wie möglich. Alle Mitgift, alle Verbindungen und alle Anmut, die eine Adlige mit in die Ehe brachte, zählten nichts mehr, wenn sie nicht für Erben sorgen konnte.
Faraday nahm ein Stück Wolkenbeerenkäse vom Teller und knabberte an den Rändern, während sich zwischen ihren Augen eine Sorgenfalte bildete. »Eine Tragödie, wenn König Priam keine Söhne bekäme, die ihm auf dem Thron nachfolgen könnten!«
»Ja«, bestätigte Devera und stärkte sich mit einem tüchtigen Schluck Wein. »Damit würde sein nächststehender Verwandter nach ihm auf den Thron gelangen. Nun sagt mir doch, meine Liebe, wenn Euch das möglich ist, wer das wäre.«
Ihr Tonfall störte Faraday, und so antwortete sie etwas heftig: »Sein Neffe natürlich, Herzog Bornheld von Ichtar!«
Das Mädchen war erst gestern am Hof eingetroffen und mußte noch dem König und seiner Familie vorgestellt werden. Zwar kannte sie schon die Namen der Hochgestellten, aber die Gesichter konnte sie noch nicht zuordnen. Zu ihrer großen Schande vermochte Faraday nicht zu sagen, bei wem von den vier Edlen an der königlichen Tafel es sich um den Herzog handelte. Wer von ihnen war bloß Bornheld?
Devera genoß Faradays beschämte Verwirrung für eine Weile, ehe sie sich dazu herabließ, in Richtung des Mannes zu nicken, der unmittelbar zur Rechten des Königs saß.
»Ach so«, atmete das Mädchen aus. Jetzt, da Devera ihn ihr gezeigt hatte, fiel ihr prompt die Familienähnlichkeit ins Auge. Der Herzog besaß die grauen Augen Priams, und sein Haar wies die gleiche dunkelrote Tönung auf, auch wenn er es nicht in Löckchen, sondern militärisch kurzgeschnitten trug. Bornheld schien um die dreißig zu sein und in der Blüte seiner Jahre zu stehen. Sein Körper wirkte schwer und massig, aber seinen Bewegungen merkte man an, daß er nur aus Muskeln bestand. Wenn Priam der geborene Höfling war, dann war Bornheld der geborene Kriegsmann. Jahrelang hatte er im Sattel gesessen und das
Weitere Kostenlose Bücher