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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ja noch m ehr: Sie war verbannt worden.
    »Und i m Kino«, setzte sie trotzig h i nzu, und wie sie ver m utet hatte, entgegn e te e r so f ort:
    »Du sollte s t dein Taschengeld nic h t f ür diesen Unsinn ausgeben, Carla.«
    Aber er sagte es nachsichtig, sogar voller Zuneigung, und fügte hinzu: »Du bist doch sonst ein kluges Mädchen. Kannst du den Untersc h ied z u m Theater n icht se h e n ? Die Fil m geschichten si n d so lächerlich einfach und wiederholen sich ständig.«
    Mißtrauisch schaute sie zu ihm ho c h. Konnte es sein, daß er tatsächlich ein Gespräch m it ihr führen wollt e ? Er leh n te sich auf den Stock, den er benutzen mußte, seit sein rechtes Knie ihm so zu sc h affen m achte, und betrachtete sie na c hdenklich. In den letzten Jahren hatte er noch m ehr zugenommen, und ihr kam der Verdacht, daß er der jungen, verwitweten Frau Lehn m ann nicht zuletzt des w egen den Hof machte, weil sie im Krieg als Krankenpflegerin gearbeitet hatte. Vielleicht v er m utete Frau Lehn m a nn das auch, oder vielleicht war sie einfach eine zu g u te Katholi k i n ; auf jeden F all hatte sie sich bisher nur abweisend verhalten, wo r über Carla froh war. Sie kannte Frau Lehnmann kau m , aber es sc hi en sich um eine nette Frau zu handeln.
    »Das könnte m an auch von der Handlung von Opern behaupten«, entgegnete s i e auf d i e G efahr hin, ihren Vater zu erzürnen, w obei sie nicht wußte, ob sie sich nicht genau das wünschte. S i e hatte schon lange nicht m ehr auf d e m Klavier spielen m üssen, aber das war das erste Mal, daß sie ihrer Un e m pfäng l ichkeit für diese Musikgattung, die er so schätzte, offen Ausdruck verlieh.
    »Die Handlung ist oft wirklich dumm, die K a rten sind viel teurer als die fürs Kino, und die Sänger sind viel zu dick.«
    Sie wartete darauf, daß er sich u m drehte und eine neue, wochenlange Periode des Schweigens begann. Seine Liebe zur Musik war eines der w enigen beständigen Motive in seinem Leben; er besuchte jede Inszenierung der Oper am Max-Joseph-Platz, obwohl er die m eisten heftig kritisierte, und der jährliche Som m erausflug nach Bayreuth war der Höhepunkt seines Jahres. Früher hatte er oft abends am Klavier gesessen und Th e m en aus Tristan gespi e lt, i mm er die gleichen Akkorde. Daß die Gicht s e ine Finger im letzten Jahr dazu unfähig gemacht h atte, s ch m erzte i h n so sehr, daß er zum ersten Mal in seinem Leben wirklich auf die Anordnungen seines Arztes hörte und den fetten Gerichten etwas a u s dem W eg ging. Ihre Äußerung war also nicht nur respektlos, sondern geradezu beleidigend.
    Aber ihr Vater drehte sich nic h t um. Statt dessen lachte er, nur kurz, aber es klang aufrichtig belustigt.
    »Nicht alle Sänger«, be m erkte er und sah sie an. Carla erstarrte. Viell e icht m einte er es g ar nic h t so, aber sie konnte nicht anders, sie dachte an i h re Mutter. In seinen l e tzten Fe r ien hatte Robe r t sie ei n m al zu Dr. Gold m ann m itgenommen, und Dr. Gold m ann hatte ein Buch m it Photographien von berüh m ten Inszenierungen im Regal stehen. Da hatte sie ihre Mutter entdeckt, jung, triu m phierend, als Aschenputt e l in La Cenerentola. Nein, Angharad war nicht dick gewesen. W ährend sie den Blick ihres Va t ers auf s i ch ruhen spürte, erinnerte sich Carla an die sch l anke, dunkelhaarige Gestalt auf der sorgsam ausgeleuc h teten Photograp h ie aus Italien. Im m er hatte sie geglaubt, s ie schlüge in die Fa m ilie ihres Vaters, m it ihren roten Haaren; die Erinnerungen an ihre M u tter, über die sie nur ein m al m i t Robert und m it sonst nie m and e m ge s prochen hatte, schlossen Angharads Gesichtszüge nicht m it ein. Ab e r wenn sie jetzt, nach der Entdeckung der Photographie, in den Spi e gel schaute, erkannte sie Ähnlichkeiten; die hohen W angenknochen, die geraden, dichten Augenbrauen. Man m erkte es deutlicher, wenn sie i h re Brille ni cht trug, und in der letzten Zeit hatte sie m it dem Versuch angefangen, auch brillenlos zurechtzukom m en. Natür l ich nicht beim Radfahr e n alles, was weiter als fünf Meter von ihr e n tfernt war, verschwamm vor ihren kurzsichtigen Augen -, aber wenn sie zu Fuß unterwegs war. Man mußte sich nur stärker nach Geräu s chen orientieren, lernen, Farbflecken richtig zu deuten, und bereit sein, ei n i ge b l a ue Flec k en in Kauf zu neh m en.
    Nun fragte sie sich, ob ihr Vat e r auch fand, daß sie ihrer Mutter ähnlich sah. Der gleiche I m puls, der sie dazu getrieben hatte, lauthals

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