Unter dem Zwillingsstern
sie m it i hrem Leben nichts Besseres anzufangen wußte.«
» W ie m einen Sie das ? « fragte Carla verblüfft, während sie noch etwas von der Torte auf ihre Gabel schob.
Käthe beda u erte, laut ge sprochen zu haben. Es war nur so, daß Dr. Gold m ann sie irritierte. Sie konnte ihn nicht einordnen; weder politisch, m it seinem Misch m asch an konservativen und fortschrittlichen Ansichten, noch m enschlich. Natürli c h ehrte es ihn, daß er sich um den Sohn einer längst verstorbenen Geliebten küm m erte, dessen Vater m an nicht eben als verantwortungsbewußt bezeichnen konnte; aber sie gla u bte nic h t, daß dieses ständige Tauziehen letztlich gut für den Jungen war, und der ganz und gar nicht dumme Dr. Gold m ann mußte das eigentlich wissen. Außer d em klatschte m an selbst in ihren Kreisen über seine ständigen Verh ä ltni s se m it verheirateten Frauen. Auch die Schauspielerin, in deren G e sellschaft er sich heute befand, hatte einen Ehe m ann. Käthe hielt sich für modern genug, um die Ehe als bürgerliche Instit u tion abzulehnen, aber d a s junge jüdische Mädchen, das immer noch irgendwo in ihr steckte, war schockiert. Sie erkannte, daß sie ihren Gefühlswirrwarr auf seine Begleiterin projiziert hatte, aber das w a r zu ko m pliziert und zu persönlich, um es Carla zu erklären, also antwortete sie:
»Nun, einen Beruf zu ergreifen, der einen im hohen Maß von der äußeren Erscheinung abhängig m acht, ist sehr unklug.«
Carla sch m eckte die Süße der Frucht und ihre m i l chige U m hüllung.
Sie fragte sich, ob Käthe Brod sich je gewünscht hatte, je m and anders zu s e in. W ahrscheinlich n i c h t. Mit dem Stück Kuchen schluckte sie auch die Versuchung herunte r , ihrer Erzieherin etwas von der Offenbarung, die ihr gerade zuteil geworden war, zu erzählen.
Nach Annis Tod hatte Carla ihr e n Vater lange nur noch bei den morgendlichen und abendlichen Mahlzeiten gesehen, und oft wochenlang überhaupt nicht, wenn er in geschäftlichen Angelegenheiten nach Berlin fuhr oder für einen Monat nach Italien verschwand. Diese »Ep o che des W e t t bewerbs im Schweigen«, wie sie sie Robert gegenüber b ezeich n ete, um zu verbergen, wie sehr es sie v erletzte, hielt etwa eineinhalb Jahre an. Danach begann ihr Vater wieder, hin und wieder so etwas wie Interesse für sie zu zeigen. Zu ihrem zwölften Gebu r tstag schen k te er ihr ein F a hrrad, was s ie v ö llig üb e rrasc h te, denn sie hatte ihm gegenüber n i e erwähnt, daß sie sich eines wünschte; er m ußte sich die Mühe ge m acht haben, sich bei Käthe Brod zu erkundigen.
Ihre Freude ver m ischte sich, wie jedes Gefühl in bezug auf ihren Vater, m it Bitt e rkeit. Sie wünschte, er würde sich endlich e ntsch e iden, ihre Existenz ganz und gar zu ignorieren; das würde ihn uneingeschränkt hassenswert m achen, u n d seit Annis Tod wußte sie, daß sie ihn haßte. Aber nein, jedes m al, wenn sie sicher war, ihn nur noch als ihren Feind sehen zu können, zerstörte er diesen Schutzwall m it einem Ausbruch an Menschlichkeit und erweckte in ihr wieder das lächerliche Bedürfnis, ihm zu g e fallen und von ihm geliebt zu werden.
Nun, da sie nicht m ehr auf die S t raßenbahn angewiesen war, unternahm sie lange Ausflüge auf ihrem neuen Rad; Ausflüchte, dachte sie m anchmal. Eines Tages kehrte sie gerade von einem solchen Ausflug zurück, als i h r Vater ihr auf dem Weg in ihr Zimmer begegnete.
» W o warst du ? « fragte er m it erhobenen Augenbrauen.
Schlagartig wurde Carla bewußt, wie ina k zepta b el s i e für i h n aussehen m ußte; Käthe Brod hatte i h r Hosen geschenkt, die zwar zum Radfahren ungeheuer praktisch waren und ihr auch gestatteten, auf Bäu m e zu klettern, aber im Mo m e nt klebten sie schweißdurchtränkt an ihrer Haut, genauso wie ihre Bluse. Außerdem m erkte sie bereits, daß sie auf Stirn und Nase einen leichten Sonnenbrand hatte; die Haut spannte sich dort und brannte, aber nicht mehr als ihre Wangen, als i h r j e tzt unwillkü r li c h das Blut i n s Gesicht s tieg.
»Im Englischen Garten«, m u r m elte sie und war wütend auf ihn, weil er ihr d as Ge f ühl ver m ittelte, etwas f alsch ge m acht zu haben.
Darin war er ein M ei s ter, dachte sie zornig. Marianne be m ühte sich schon seit Jahren, eine vollkom m ene Da m e zu sein, aber das brachte sie bei ihr e m Vater au c h nicht weiter; im Gegenteil, in der »Epoche des W ettbewerbs im Schweigen« war sie genauso ignoriert worden wie Carla,
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