Unter dem Zwillingsstern
dachte plötzlich, daß er sie m it seinem dreieckigen Haaransatz und dem s c harfgeschnittenen Gesicht an einen Hai erinnerte, wie sie ihn im Naturkunde m useum gesehen hatte. Er hatte sie bisher ignoriert und war da m it einem protokollarischen Problem ausgewichen. Für die Bac h m aiers war sie u n ehelich; für ihren Vater war sie das auch, wenn er nicht gerade je m anden aus der F a m ilie sei n er er s t en Frau provozieren wollte u nd behauptete, Angharad doch in A m erika geheiratet zu haben. In jedem Fall war sie das lebende Symbol des Bruchs zwisc h en Heinrich Fehr und den Bach m aiers, und sie als Verwandte anzuerkennen hieß, Hei n rich Fehr in einem wichtigen Punkt nachzugeb e n. Das ließ sich u m gehen, wenn m an sie als Kind behandelte, d e nn Kinder, ob nun ehelich oder unehelich, konnten ignoriert werden. Auch jetzt wäre es für Philipp noch m öglich gewesen, über ihren E i nwurf einfach hinwegzugehen.
Aber ihr Vater schwieg erwartungsvoll, statt sie zurechtzuweisen; vielleicht, weil er dem kühlen, sel b stsicheren ju n gen Mann eine gewisse Verlegenheit gönnte. Phil i pp war offenb a r klug genug, um das zu m erken. Er m usterte Carla gerade lange genug, um ihr das Gefühl zu ver m itteln, nur ein k lein e r Fisch zu sein, d a nn sagte e r gelasse n , an Heinrich Fehr gewandt:
»Es scheint, daß einige Kinder h i er in München nicht den rechten Begriff von Vaterlandsliebe haben, aber vielleicht täusche ich m ich. Meine hiesigen Freunde versichern m i r, daß m a n hier noch rundum bodenständig ist, ohne m oderne Degeneriertheit.«
»O ja«, warf Marianne hastig ein und warf Carla einen strafenden Blick zu, e h e sie wie d er liebev o ll zu ihrem Verlobten scha ut e. »Hier sind wir stolz auf unsere Kriegshelden.«
Vielleicht w ar es Phili p ps herablas s ender Ton. Vielleicht w ar es der U m stand, daß Käthe sie ein m a l zu einem Krankenhaus voller Kriegsversehrter m itgenom m en h a tte und in der letzten Zeit auch öfter zu Versam m l ungen, auf denen Frau Hallgarten sprach, die m it ihnen in einer Straße w ohnte und die Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft l e itete. J eden f alls e rschien ihr das, was Phili p p da von sich gab, als verlogenes, unsinniges Gerede, und außerdem war sie enttäuscht über Mariannes Reaktion. Marianne hatte ihr e m Vater b e i al lem Be m ühen um sei n e Liebe doch nie geschmeichelt, und jetzt benahm sie sich ihrem Verlobten gegenüber regelrecht unterwürfig.
»Sind wir nicht«, sagte Carla laut, alle Vorsicht in den W ind schlagend. Allerschlim m stens konnte eine neue Epoche des Schweigens anbrechen. »Nur auf diejeni g en, die Geld haben. Von den anderen stehen eine Menge verkrüppelt und als Bettler auf der Straße oder vor dem A r beitsa m t in der Thalkir c hner Straße. Die sehe ich jedes m al, wenn i ch m it d e m Rad daran vorbeikom m e .«
Sie schöpfte rasch Atem und redete weiter, ehe je m and sie unterbrechen und auf ihr Z i m m er schicken konnte. »Und ich glaube nicht, daß du aus Vaterlandsliebe in den K rieg gezogen bist, Philipp.«
Sie hatte sich überle g t, ob sie i hn siezen oder duzen sollte, aber schließlich würde er ihr Schwager werden. Er starrte s ie w ieder an, ohne eine Miene zu verziehen, aber diese betonte Auf m erksa m keit war bei weitem besser, denn als kleines Kind abgetan zu werden.
» W arum dann ? « fragte er. Für einen Österreic h er hatte er eine erstaunlich präzise Aussprache; led i glich die langgezogenen Endsilben waren unverwechselbar. Ursprünglich hatte sie sagen wollen: Aus Angeberei, und daß er das Kä m p fen wohl für ein Abenteuer gehalten habe. Aber weil er sie nicht m ehr länger ignorierte, antwortete sie m i t etwas andere m , das Marian n e gleic h zeitig ihre Speichellec k erei hei m zahlen sollte.
»Du hast eine Schwäche für hoffn u ngslose Fälle«, erwiderte sie so unbekümm e rt wie m öglich. »Sonst wärst du ja auch nicht m it Marianne verlobt.«
Ihre Schwester, die Carla gegenüb e rsaß, erblaßte und sprang auf. Dann hob sie die Hand und schlug dem Mädchen ins Gesicht. Da sie über den Tisch hinweg ausholte, wurde es nur eine schwache Ohrfeige, aber sie genügte, um Carlas Brille herabzuschleudern. C arla blinzelte, m ehr verblüfft als verletzt. Bis auf Käthe Brods Ohrfeige vor drei Ja h ren, die ihrem Schreianfall ein Ende gesetzt hatte, war sie nie m als in ihrem Leben geschlagen worden. Daß ihr Vater es irgendwann doch tun könnte, hatte sie m anch m
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