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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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sich wäscht, kämmt usw. Den Kino (das Kino?) zu bes u chen ist ganz billig, nur zehn Pfennig, und vor allem, ich kann alleine hingehen. Viele Grüße ins ländliche Exil Halef.
     
    Mein lieber Hadschi o b der o d er das, Dein K ino verblaßt völlig im Vergleich zu den Möglichkeiten, die einem hier geboten werden. Der Schull e iter i s t e ine Wucht. Er h at mich zum Leiter d er Theatergruppe gemacht. Schau Dir ruhig D eine Lichtbilder an, während ich hier Shakespeare aufführe. Viele G r üße in das Schulmädchenleben Kara.
    P.S. Bisher kein Anzeichen von Witteisbacherdaten im Geschichtsunterricht. A uch keine H ohenzollern.
     
    Mein lieber Sam ich glaube Dir kein Wort. Welcher Direktor macht einen Zehnjährigen zum Leiter der Theatergruppe? Er hat Dir erlaubt, beim nächsten Elternabend Deine Zauberkunststücke vorzuführen, stimmt’s? Halef.
    P.S. Und was macht die Rechnerei, Du Held?
     
    Mein lieber Halef-Du Ungläubige, Du Kleingeist! Also gut, ich bin nicht der Leiter der Theatergruppe, aber auf dem besten Weg dorthin. Ich bin ein Mitglied, und Max Kern (der Schulleiter) sagt, ich sei der talentierteste J unge, den er je gesehen habe. Bis zur Weihnachtsaufführung leite i c h die Gruppe. Dann erwarte ich eine Entschuldigung von Dir. Kara.
    P.S. Mit dem Elternabend hattest Du übrigens recht. So ist M.K. auf mich aufmerksam geworden. Woher wußtest Du das?
     
    Die Briefe, oft nur ein paar kurze Zeilen, wurden eine Gewohnheit, die Carla nicht m ehr aufgeben konnte. Sie glaubte in der Regel nur die Hälfte von de m , w a s Robert i h r erzä h lte, u nd nach ei n er W eile fing sie an, selbst Übertreibungen und erfundene Geschichten in ihre Briefe einfließen zu lassen, aber sie hätte um nichts in der Welt darauf verzichten m ögen. Roberts B r iefe waren wie die schi mm ernden schwarzweißen Bilder, die sie selbst ohne ihre Brille deutlich erkannte, kleine Fluchtfenster aus ihrer engen W elt. Sie beneidete Robert glühend um das Schultheater, und als er ihr im folgenden Jahr einen kleinen Artikel über sich schic k te Schauspieler, Dichter und erst 11 - , brac h te sie die Eifer s ucht ei n e ganze Nacht lang um ihren Schlaf. Aber sie wußte, daß auch er sie beneidete, denn Schultheater hin oder her, Lubeldorf war nicht m it Münch e n zu vergleichen. Ihr V ater, der begonnen hatte, einer jungen W itwe den Hof z u m achen, nahm sie wieder zu einigen Theateraufführungen m it, und nun war sie alt genug, um das m eiste von de m , was sie sah, zu verstehen.
    Der W ald von Arden nahm sie gefangen, Wie es euch gefällt m it seinen im m e rwährenden Verwand l ungen und Rosalinde, die ihr trübseliges Dasein am Hof ihres verhaßten Onkels verließ und in ihrem Wald ein Junge wurde, der ein Mädchen spielte. Carla sah die kleine, irrlichternde Gestalt auf der Bühne zwischen drei I d entitäten hin- und herwechseln und in jeder ihre feenhafte An m u t bewahren, und s i e begann zu wünschen.
    Kurz darauf, als sie m i t Käthe Brod in einem Café saß und H i m beersahnetorte aß, gingen Dr. Gol d m ann und eine Frau, die sie erst auf den zweiten Blick erkannte, vo r über. Es war die Rosalinde, die Schauspielerin Lie s l Thaler, aber s i e sah sehr verändert aus. Sie bewegte sich auch ganz anders, ein wenig forsch; das Schweben Rosalindes war verschwunden. Dr. Gold m a nn erspähte sie und ihre Erzieherin; höflich k a m er zu ihnen herüber und stellte sie seiner Begleiterin vor, die sie freun d lich begrüßte. Sogar ihre S tim m e, ihre Sprechweise war e i ne an d er e ; jet z t h ö rte m an ihr die öst e rr e ichi s che Herkunft an. Der Unterschied zwischen Bühne und W i rklichkeit m achte Carla zu sc h affen, aber nicht, weil er sie enttäuschte. Im Gegenteil, er eröffnete ungeahnte Möglichkeiten. Wenn diese freundliche, alltägliche Frau, die, aus der Nähe betrachtet, eher ein etwas unre g el m äßiges Gesicht hatte, s ich nur durch d ie Mac h t i h res W illens und ein wenig Schminke in ein anderes Geschöpf verwandeln konnte dann würde sie, Carla, es auch können. Die Fenster in andere Leben, in viele andere Leben, waren nicht nur dazu da, u m betrachtet zu werden. Man konnte sie aufstoßen und hindurchklettern.
    Sie war zu sehr m it dieser neuen I d ee beschäftigt, um zu bemerken, daß ihre Erzieherin Dr. Gold m ann kühl behandelte, also traf es sie unerwartet, als Kät h e s päter, als s i e wieder allein waren, be m erkte:
    »Sie ist o ff enbar int e lli g ent. W i e bedauerlich, daß

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