Unter dem Zwillingsstern
Kritik an d e r Oper zu ä ußern, v e ra n laßte sie j e tzt, i h re B r ille abzuneh m en und zu entgegnen: »Nein, nicht alle.«
Sein Gesicht vergröberte sich s o fort vor ihren Augen; sie konnte die einzelnen Falten genau erkennen. Er rührte sich nicht und schwieg. Carla zählte in Gedank e n bis zehn, dann fuhr sie fort:
»Aber ich wette, die Schauspieler im Film haben m ehr Spaß bei ihrer Ar b eit. In der Oper geht m ei s tens alles s chlecht a u s. Die Leute werden er m ordet od e r v errüc k t.«
Plötzlich w a r i h r k a lt, obwohl sie den ganzen Weg nach Hause so schnell wie möglich geradelt war. H a tte sie das wirklich gesagt? Es lag ihr auf der Zunge, eine Entschuldigung zu stam m eln, aber das hätte alles nur noch schlim m er ge m acht, und außerdem wurd e n Furcht und Beschä m ung sofort w i eder von Zorn und Erbitterung verdrängt. Sie dachte an die beiden kopflosen Puppen in ihrer Schublade und an das Versprechen, das sie sich gegeben hatte.
»Deine Schwester Marianne«, sag t e ihr Vater unerwartet e rweise, und nur die leichte Heiserkeit seiner Stim m e verriet, daß er sehr wohl verstanden hatte, wovon sie sprach, »hat sich verlobt. Vergangenes sollte m an ruhenlassen. Also habe ich sie und ihren Verlobten eingeladen; und von dir erwarte ich Hö f lichkeit und R espekt… deiner älteren Schwester und ihrem Verlobten gegenüber.«
Er wandte sich u m , und Carla hörte seine schweren, ungleich m äßigen Schritte den Flur hinuntergeh e n. » W ie heißt er ? « rief sie ihm hint e rher, was sich ebe nf alls nic h t gehörte, a b er sie wollte es wirklich wis s en.
»Philipp Bach m aier.«
Bis auf Marianne selbst kannte C a rla k ein ei n ziges Mit g lied der Fa m ilie Ba c h m aier, die m it ihrem Vater nur no c h brie f lich v erkeh r t e, und das meistens über Anwälte. T r otzdem hatte sie Marianne m anch m al um ihre Großeltern beneidet, um die Onkel, Tanten und Cousins, die ihre ält e re Schwester h att e ; sollte Carlas e i ge n e Mutt e r noch über lebende Verwandte ver f ügen, dann hatten sich diese nie ge m eldet. Andererseits waren ihre Gefühle in bezug auf ihre Schwester schon gespalten genug, und w enn s i e sich vorstellte, m it einer ganzen Reihe von Mariannes ver w andt zu sein, war sie über ihre Fa m ilienl o sigkeit so g ar e r l e icht e r t.
Sie hatte M arian n e seit Jahren nicht m ehr gesehen, seit Annis Tod nicht m ehr, und nur pflichtbewußte Briefe zum Geburtstag und zu Weihnachten erhalten, die sie ebenso pflichtbewußt erwiderte. In keiner dieser kurzen Episteln w a r von einem »Philipp« die Rede gewesen. Das Schreiben, m it d e m Marianne nun auf die Einladung ihres Vaters reagierte, erwähnte, daß es sich um einen Cousin dritten Grades aus Österr e ich h andelte. Unwillkü r lich s tellte sich Carla ei n e m ännliche Version von Marianne vor, hager, etwas verbissen, fromm und sehr, sehr gewissenhaft.
Philipp überraschte sie, fast so sehr wie Maria n ne selbst, die trotz der verstrichenen Jahre jünger aus s ah, gelöster, weicher, und ihren Verlobten off ensichtlich anhim m elte; sie wandte kaum je d e n Blick von ih m , w a s ihren Vater nicht nur b e lustigte, sondern auch irritierte. Was Philipp anging, so erwiderte er diese s t um m e Anbetung keine s wegs; er verhielt sich untadelig hö f lich zu Mari a nne, aber er zei g te kein äußeres Anzeichen von Liebe od e r gar Leidenschaft. Er wirkte tatsächlich regelrecht schlaksig in seiner Soldatenunifor m , aber das war der einzige Punkt, d er Carlas Erwartungen v öllig ents p r ach.
Zunächst ein m al hatte er dunkle H a are, nicht helle wie Marianne, und eine braungebrannte Haut, die daf ü r sprach, daß er viel Zeit im Freien ver b rachte. Dann war er deutlich jünger als Marianne, selbst in ihrem verschönten Zustand; in der Tat wirkte er kaum alt genug, um i m Krieg gewesen zu sein, aber auf eine entsprec h en d e, leic h t spöttische Frage Heinrich Fehrs entgegnete er, man habe ihm i m letzten Krieg s j a hr gest a tt e t, trotz sein e r da m aligen Minde r j äh ri gkeit s e inen Beitrag zur Rettung des Vaterl a nds zu leisten. Er sagte das m it einer nüchternen Selbstverständli c hkeit, die das Pathos der W orte beinahe wieder negierte, aber Carla, bei der Käthe Brods jahrelanger Einfluß durchaus Früchte get r agen h atte, p latzte heraus:
»Im letzten Jah r ? Ab e r warum d e nn, du m eine Güte? Da w ar der Krieg doch schon verloren!«
Philipp fixierte sie, und sie
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