Unter dem Zwillingsstern
unverhohlen anstarrten, wenn sie aß, aber wegschauten und nur m iteinander redeten, wenn die Gerichte abgeräu m t w u rden. Carla entschloß sich, sie m it Verachtung zu stra f en und sie a lle zu behandeln, als existierten sie nicht, a b er das zähe Schweig e n, die Blicke und das gelegentliche Gekicher taten weh. Selbst Sophies Gequengel und ihre hündchenhaften Versuche, Freundschaft zu s chlie ß en, e r schienen ihr im Vergleich besser. Zum Glück trug sie i h re B r ille n i c ht, so daß sie zu m i ndest keine Gri m assen s ehen m ußte. W eiße Flecken, wiederholte sie sich, es si n d nur weiße Fleck e n, und sie haben keine Macht über m i ch.
W i eder dachte sie an R obert und wünschte sich, er wäre hier. Er würde lachen und fragen, seit wann sie sich von ein paar dum m en Kindern einschüchtern ließ. Nat ü rlich hatte er Erfahrung m it dum m en Kindern. Das Dasein an der W ilhe l m sschule m ußte wirklich furchtbar gewesen sein. Kein W under, daß er seinen jetzigen Direktor verg ö t terte.
Ihre Erleichterung darüber, daß ihr Vater nach d e m gewonnenen K a m pf um das Geleit zum Altar b e schlossen hatte, schon an diesem Nach m ittag nach Münc h en abzureis e n, wuchs m i t jedem Gang, und als der Na c htisch s e rviert wurde, a ß sie ihn mit unzie m li c her Hast und sprang auf, sowie sie fertig w a r. Sie schob ihren Stuhl zurück und ging zu dem Haupttisch, wo sie ent m utigt feststellte, daß ihr Vater im m er noch in s e in e m Kaisersc h m arrn heru m stocherte. Doch als er s i e sah, legte er s eine Gabel nied e r, zog sei n e Uhr aus d er Brustt a sche hervor, ließ den silbernen Deckel aufspringen und seufzte.
»Ich fürchte, wir m üss e n jetzt gehen«, sagte er zu Philipp u nd Marianne. »Sonst verpassen wir unseren Zug, und angesichts der Lage in München habe ich es wirklich eilig…«
»Ich verstehe«, entgegnete Philipp.
Marianne protestierte, aber nicht sehr heftig, und Carla fragte sich, ob ihre Schwester hei m lich erleichtert war, sie beide loszuwerden und unbeschwert feiern zu können. D er W unsch nach Flucht wandelte sich ein wenig; auf jeden Fall wollte sie ihnen noch et w as zu denken geben.
Sie ließ sich von Marianne u m a r men und auf die W ange küssen. Dann stand sie vor Philipp, aber sie knickste nicht, wie sie es bisher im m er zum Abschied getan hatte, sondern gab ihm die Hand wie einem Gleichaltrigen.
»Hoffentlich besucht ihr uns bald in München«, sagte sie zu ih m , absichtlich in einer etwas ate m l o sen Klein m äd c henstim m e, »du bist so gescheit und weißt so viel, da g i bt es sicher viel, was du m ir beibringen kannst.«
Marianne lachte etwas gequält und versprach einen baldigen Besuch. I h r V a ter stand hi n t er ihr, also wußte sie nicht, wie er reagierte, aber Philipps Hand in der ihren zuckte zusammen und verkra m p fte sich etwas. Zufrieden lächelte sie u n d hörte auch nicht auf zu lächeln, als er p lötzlich i h re Finger kurz, aber se h r s ch m erzhaft zusa mm enpreßte, ehe er ihre Hand losli e ß, ein deutlicher Bestrafungsversuch. Philipp war eindeutig ein s ch l echter Verlier e r. Denn sie h a tte gewonnen; er war verlegen, Maria n ne, die genau wußte, daß Carla keine Ehrfurcht vor Philipp e m pfand, fragte sich sicher, was die Be m erkung bezweckte, und ihr Vater konnte ihr nicht ein W o rt nachweisen, m it dem sie sich schlecht benom m en hätte.
Als Heinrich Fehr sie in sein A r beitszim m er bat, schloß Käthe kurz die Augen. Jahrelang einen bestim m t en Mo m ent zu erwarten, halb in Furcht, halb in Hoffnung, hatte für sie eine ständige Anspannung in Gegenwart von Carlas Vater erzeug t , und sie plötzlich verschwinden zu spüren war höchst eig e nartig. Eine freie Leere erfüllte si e, als sie die Augen wieder öffnete, als sei sie von einer sehr hohen Klippe gesprungen; der Augenblick der Entscheidung war vorbei, Sch m erz und Aufprall noch weit entfernt, und sie brauchte nichts weiter zu tun, als sich fallen zu lassen und für die Zeit des Falls das G efühl zu genießen, fliegen zu können.
»Ich m uß Ihnen wohl nicht sagen, w arum Sie hier sind«, sagte der übernächtigt und gereizt wirkende Heinrich Fehr, als sie vor ihm stand. »Aber verraten S i e m i r doch, Fräulein Brod, was Sie sich dabei gedacht haben, als S i e drei Fre m de in diesem Haus einquartierten.«
»Ich hatte Grund zu der Annah m e «, antwortete Käthe ruhig und im m er noch da m it beschä f tigt, das überrasch e
Weitere Kostenlose Bücher