Unter dem Zwillingsstern
ihm schlecht, und wenn ich nicht aufpasse, kotzt er an Ort und Stelle und schlä f t darin ein. Dann wacht er auf, und es geht von vorne los. Und wenn ich ihn m al dazu bringe, etwas zu essen und dabei nichts zu trink e n, fängt er zu zittern an. Und er redet, er redet ununterbrochen. W enn er m i ch abholt, weiß die ganze Schule davon, weil sie alle warten, um ihn zu sehen.«
Die D e m ütigung, das Schwanken zwischen Mitleid, Liebe und H a ß lasteten auf ih m , und der Druck wur d e nicht geringer, während er m i t Carla sprach. Aber wenn er die Verachtung spürte, die Dada und Max und m ittlerweile jeder seinem Vater entgegenbrac h te, überstieg der W unsch, Papa zu beschützen, all e s andere bis zu dem nächsten Gang zur Toilette, das Gewicht seines Vaters an seinem Hals und der saure Säuferatem in sei n em Gesicht.
»Er hat Kathi entlassen«, sagte C a rla abrupt, und dann wiederholte sie das letzte Gespräch m it ihrem Vater und alles, was sich vorher zugetragen hatte.
»Manch m al würde ich gerne m it dir tauschen.«
»Nein, würdest du nicht«, antwortete er voller Gewißheit. »Du würdest das genauso hassen. Dein Vater, m ein Vater…«
»Ja.«
Sie sc h auten einan d er a n . In ihrem Nachthe m d sah sie wie ein Gespenst aus; ihr Haar zeichnete sich dunkel ab und m alte Ausrufezeichen und Fragezeichen auf den weißen Stoff.
»Ich m ache es, wenn du es auch tust«, sagte si e. »Für dich ist es sowieso leichter. Dein D i rektor wird dir helfen, und Dr. Gold m ann.«
»Ganz sicher«, erwiderte er m it einer Mischung aus Erbitterung und Erleichterung. »Die werden ent z ückt sein, wenn ich sage, daß ich ihn n i cht m ehr sehen will, b i s er a u f gehört hat zu t r inken.«
Es war ausgesprochen, das Todes u rteil, denn er wußte genau, daß sein Vater nicht m ehr aufhören konnte. »Du bist alles, was ich noch habe«, dieser regel m äßige Refrain seiner Jere m i aden war ernst ge m eint. Er sprach es laut aus, höhnisch, m it einem Hohn, der genauso ihm selbst galt: »Ich bin alles, was er noch hat.«
»Und ich«, sagte Carla harsch, »bin alles, was er noch hat. Er denkt, ich weiß das nicht, aber d e swegen hat er da m als die Epoche des Schweigens abgebrochen, und des w egen hat er m i ch noch nicht weggeschickt. Er hat es gehaßt, a l s Marianne geheiratet hat, obwohl er da m it seinen Nachfolger bekommt. Er wird alt, er ist krank, und er weiß genau, daß er keine Frau, die er lieben könnte, m e hr finden wird. Einen fetten, kranken Mann m it seiner V ergangenheit heiraten solche Frauen nicht m al für Geld.«
Sie hielt inne. Ihre Finger schla n gen sich ineinander. »Aber er denkt, er wird m ich hierbehal t en können, daß ich im m er von ihm abhängig sein werde, seine uneheli c he Tochter, die ihm alles schuldet.«
»Ich m ache es, wenn du es tust«, wiederholte er ihren Satz von vorhin, »aber wie willst du ihn d azu bringen, dich wegzulassen ? «
Sie gab sich einen Ruck und erzählte es ih m . Bis zu dem Mo m ent, als sie es a u ssprach, hatte sie es n i c h t gewußt, nicht wirklic h ; es waren ungeordnete Gefühle und I m pulse gewesen, Gedankenfetzen, Fäden, die sich erst jetzt zu einem Gewebe verknoten ließen. Z u m ersten m al w ar sie froh, daß Käthe sie verlassen hatte. Si e wollte nicht, daß K athi d a s m iterle b te.
»Und wann?« fragte Robert, als sie geendet hatte.
»Morgen abend. Da gibt er ein großes Essen, und jetzt, w o die Bach m aiers wieder m it ihm reden, werden die meisten, die er eingeladen hat, auch kommen.«
Was sie vorhatte, war auf seine W e ise genauso unbar m herzig und vollkom m en wie das, w a s er seinem Vater antun würde. Es war nicht nötig, weiterzureden. Da seine Anwesenheit noch ein Gehei m nis bleiben sollte, zog er seine Schuhe aus, während Carla eines ihrer Kissen auf die rechte Seite le g t e, und rutsc h te dann unter d i e Bettdecke, die m it ihren Daunen die Kälte des frühen Deze m bers fernhielt. Es war gut, in dieser Nacht nicht alleine s e in zu m üssen. Mit eine m mal holte ihn die Erschöpfung von der Zugfahrt, die fast den ganzen Tag gedauert hatte, ein, und Robert gähnte. Schläfrig fragte er:
»Glaubst du an die Hölle ? «
»Ja«, antwortete Carla, zu seiner gelinden Überraschung, denn sie hatte sich oft genug in seiner Gegenwart über die Fröm m i gkeit ihrer Schwester lustig ge m acht.
»Dann werden wir beide wohl…«
»Ja…«, sagte Carla wieder, nic h t kurz angebunden, eher nachdenklich.
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