Unter dem Zwillingsstern
aber es änderte nichts an den Albträu m en, die sie im m er ö f ter hei m suchten, je näher der H ochzeitstermin rückte, und schließlich begriff Marianne, daß Carla nur sehr bedingt etwas mit ihrer Gewissensqual zu tun hatte. Es waren nicht die S ünden der M ü tter, sondern die der Väter, deren Ahndung durch Gott sie fürchtete.
»Du m eine Güte, Marianne, laß es gut sein. Es ist nur ein Tag, und so schlimm wird er schon nicht werden«, sagte Carla m it einer Mischung aus peinlicher B erührtheit und Ungeduld, setzte sich auf und musterte ih r e Schwester m it all d e r Herablassu n g einer Hal b wüchsigen. Dann zuckte sie unwillkürli c h zusam m en, und ihre Augen weiteten sich.
»Du hast Angst, stim m t ’ s ? «
Ma ri anne erw i de rt e n i ch t s, aber s i e setzte sich auf die Bettkante, und Carla rutschte etwas, um ihr Platz zu m achen. » W eißt du«, sagte das Mädchen nach einer W eile, ohne Marianne anzusehen, »ich würde überhaupt nicht heiraten, nie m als, aber wenn ich es täte, dann wüßte ich schon, daß alles, was passiert, an m i r und m einem Mann liegt, und nicht an… anderen Leuten.«
Wenn sie nichts weiter getan hätte, als d ie Ehe f rauen ihres Vaters zu hassen, dann wäre dieser unge s chickte, gutge m einte Beschwichtigungsversuch vielleicht erfolgrei c h gewesen. Doch was Marianne belastete, waren m ehr als ungute G e f ühle. Es lag an ihr, um es m it Carlas W orten auszudrücken, und nicht nur an… den anderen Leuten.
» W erdet ihr hier wohnen, in diesem Haus ? « erkundigte sich Carla nach einer Weile lei s e, um nic h t länger über das Unausgesprochene zwischen ihnen nachdenken zu m üs s en.
Dankbar für den The m enwechsel, wisperte Marianne zurück:
»Nein. Philipp hat eine eigene W ohnung in W ien, aber das ist nur vorläufig. E r m öchte, daß wir uns in München niederlassen, da m it er sich in der F abrik einarbeiten kann.«
»Klar m öchte er das«, erwiderte C arla in einer Mischung aus erwachsenem Zynis m us und kindlich e r Unversch ä m theit. Beschwichtigend s et z te sie h i nzu: » Bis gest er n wußte ich gar nicht, daß er noch einen älteren Bruder hat. Der e r bt hier alles, sti mm t ’s ? «
»Darüber spricht m an nicht«, gab Marianne streng zurück.
Aber sie blieb, wo sie war, und nach einer W eile strich sie ihrer Schwester über das glatte, frisch gewaschene Haar, das an den Spitzen noch etwas feucht war. Sie hatte nicht m ehr erwartet, sich zu verlieben, geschweige denn, gelie b t zu werden, und es kaum fassen können, als ihr ruhiger, gutaussehen d er Cousin begann, ihr den Hof zu m achen. Es war so überraschend gekommen; sie hatte Philipp vorher kaum gekannt, hatte ihn das let z te Mal auf einer Garten f eier gesehen, als er so alt war wie Carla jetzt, da m als, vor dem Kr i eg. Der junge Mann, der ihr Blu m en brachte und ihr zum ersten Mal, seit ihre Kindheit zerstört wurde, das Gefühl gab, geschätzt und geliebt zu sein, war ein Fre m der für sie. Un m öglich, ihn nicht zu lieben. Aber so sehr sie es tat, heute nacht, während sie neben Carla im Bett saß und, ohne es zu m erken, selbst die Knie anzog, wünschte sie plötzlich, keine Frau zu sein, sondern ein Kind. Ein glückliches, unbeküm m ertes Kind, das noch nichts von dem wußte, was Männer und Frauen einander antun konnten.
An Marian n es Hochzeitstag, d em 10. Nove m b e r, sprach der bayerische Teil der Gäste von wenig anderem als dem Putsch in München, der so kläglich fehlgeschlagen war. » W e ggelaufen sind’s, als die Schießerei losging, bis auf den Ludendorff«, sagte ein Bach m aier aus Passau verächtlich. Andere verte i digten die Putschisten; der Ministerpräsident habe ihnen sein Ehrenwort gegeben und es gebrochen; nur d urch die s en Verrat s e i das ganze Unterneh m en m ißlungen.
»Ja, hätte es denn gelingen sollen?« fragte der Passauer entrüstet.
» W enn sie die Monarc hi e wieder hätten einsetzen wollen… Aber die wollten den Zuger e ist e n zum Reichskanzl e r m achen, d ies e n Braunauer.«
»Besser der als die Preußensozis in Berlin«, konterte ein anderer. Carla, d i e zwischen den Gästen umherwanderte, fand die Gespräche bald sehr langweilig, denn sie liefen immer auf das gleiche hinaus. Sie wünschte sich, Käthe wäre hier; dann hätte es wenigstens so etwas wie eine spannende Ausei n andersetzung gegeben. Irgendwo tat es ihr leid, daß so etwas Auf r egendes wie ein niedergeschlagener Staats s treich in
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