Unter dem Zwillingsstern
München stattgefu n den hatte, gerade als sie nicht da war, aber a n derer s eits schwante ihr, daß sie das Haus ganz bestimmt nicht hätte verlassen dürfen, auch wenn sie an Ort und Stelle gewesen wäre.
Die Putschi s ten t a ten ihr nicht leid. Nach alle m , was sie von ihnen gesehen hatte, taten sie wenig m ehr, als m öglichst laut heru m zubrüllen, nach Bier zu stinken und m it Waffen herumzufuchteln. Sie dachte an den Tag, als Robert und sie vor der Redaktion der Münchner Post gestanden hatten. Nein, es war schon ein Glück, daß so etwas jetzt endgültig vorbei w ar, aber konnten sich die Leute über nichts anderes m ehr unterhalten?
Sie war erleichtert, als endli c h alle Gäste versammelt waren und m an die Kirche betreten konnte. S i e saß zwischen Sophie und deren Mutter eingequetscht in einer Bank. Zu m indest hatte m an sie nicht zu den beiläufigen Bekannten nach hinten verbannt. Einiges Halsverrenken war nötig, um an dem breiten Rücken von Philip p s älterem Bruder, d e r vor ihr kni e t e, vor b eiz u schauen. P h ilipp stand vor dem Altar und s ah in dem schwarzen Anzug wie ein Fre m der i n m itten seiner h e ll h aari g en, bl a ssen Verwandtschaft a u s. Selbst sein Trauzeuge, der den Ring hielt, war blond.
Carla wandte den Kopf und schaute zum Kircheneingang zurück. Marian n es Hochzeits kl eid m achte das Beste aus ihrer dü n nen Gestalt; sie wirkte schlank, nicht h a ger, und wer i mmer ihr Haar hochgestec k t hatte, verstand s e in Geschä f t; ihr Gesicht u m rah m ten sorg f ältig gebrannte Korkenzieherlocken, die es weicher und jünger m achten. Neben ihr stand, Gesicht und Nac k en l e icht geröt e t, ab e r ansonsten ausdruckslos, ihr Vater.
Während die Orgel zu spielen begann und die beiden feierlich auf den Altar zuschritten, ü b erle g t e Carla, ob Mar i annes Mutter ihr wo h l ähnlich gesehen hatte. S ie versuchte sich ihren Vater jung auszu m alen, bartlos, an der Seite seiner e r sten Braut, und scheiterte. Um den unver m eidlichen nächsten Gedanken abzuwehren und ihn sich nicht m it ihrer eigenen Mutter vorzustell e n, blickte sie wieder zu P hilipp.
Er nahm Mariannes Hand, sehr behutsa m , w ä hrend er neben ihr niederkniete, und Carla fragte sich p l ötzlich, ob er M a rianne auch so küssen würde wie sie in der Bibli o thek. Sie konnte sich nicht denken, daß er es bereits getan hatte. Dazu behandelte er Marianne viel zu höflich, und was im m er d a s in d e r Bibliot h ek g ewesen war, es war nicht höflich. Allerdings auch nicht unangeneh m . Auf jeden Fall war es verboten.
Käthe Brod kam ihr in den Sinn, wie sie m it ihrer ernsten, sachlichen Stimme sagte: »Der körperli ch e Ausdruck der Liebe h a t m ehrere unserer großen Dichter inspiriert.« Aber sie würde Kathi ganz bestim m t nichts von dem Vorfall erzählen. Robert vielleicht, wenn er wieder versuchte, sie mit seinen Erfahrungen zu beeindrucken. Robert s aß j e t z t in P a ris, ni cht neben einem goldgelockten kleinen Ungeheuer, sondern m u t m aßlich irgendwo, wo sie auf keinen Fall je m and m ithinneh m en würde. Aber später, sobald sie erwachsen sein und ihr eigenes Geld verdienen würde, plante sie, überall hinzugehen, wo sie wollte.
Carla kannte die Choräle nicht, d i e gesungen wurden, aber es bereitete ihr keine großen Schwierigkeit e n, das zu überspielen; die Melodien waren sehr einfach, und da die m eisten Leute hier offenbar die lateini s chen Texte, die sie sangen, n i cht verstanden, fiel Carlas Aneinanderreihen von Silben nie m andem auf. Ihr Vater saß grimmig u n d m it verschränkten Ar m en in der ers t en Reihe, o s ten t ativ stumm, und schaute starr geradeaus. Mariann e s Stim m e, ein reiner Sopran, war deutlich herauszuhören. W ie selts a m, daß Marianne, und nicht sie, die Musikalische war. Ob Philipp in seiner W ohnung wohl ein Klavier hatte, auf d e m sie spielen konnte? Aber vielleicht m achte sich Marian n e jetzt, wo es nicht m ehr galt, i h ren Vater zu beein d rucken, auch weniger aus dem Klavierspiel, dachte Carla und fand sich gleich darauf kleinlich. Sie wußte genau, daß Marianne wirklich gerne spi e lte.
Die Messe ging schneller vorüber, als sie ver m utet hatte, und bei dem darauffolgenden Mittagessen w ar sie wie d er an den »K indertisch« neben das »Sopherl« verbannt. Außerdem saßen dort einige weitere Bach m aier-Sprößlinge, die im Alter zwischen zehn und vierzehn rangierten, erst gestern ein g etroffen waren und sie
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